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Das Foucaultsche Pendel

Das Foucaultsche Pendel

Titel: Das Foucaultsche Pendel
Autoren: Umberto Eco
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bin hier an diesem Punkt angelangt, weil das und das geschehen ist aus dem und dem Grund...
    Langsam kamen mir die Erinnerungen wieder: klar, präzi-se und wohlgeordnet Die Erinnerungen an die letzten drei hektischen Tage und an die letzten drei Jahre, vermischt mit denen aus der Zeit vor vierzig Jahren, wie sie mir Stück für Stück lebendig geworden waren, als ich Jacopo Belbos Elektronengehirn knackte.
    Ich erinnere (und erinnerte) mich, um dem Chaos unserer verfehlten Schöpfung einen Sinn zu geben. Jetzt und hier, wie vorgestern abend im Periskop, ziehe ich mich zusammen, kontrahiere mich zu einem fernen Punkt des Geistes, um eine Geschichte herauszupressen. Wie das Pendel. Diotallevi hatte es mir gesagt, die erste Sefirah ist Kether, die Krone, der Anfang, die ursprüngliche Leere. Als erstes schuf Er einen Punkt, und es ward das Denken, worin Er alle Gestalten entwarf... Er war und war nicht, eingeschlossen im Namen und dem Namen entronnen, Er hatte noch keinen anderen Namen als »Wer?«, reines Verlangen, bei einem Namen genannt zu werden... Am Anfang schrieb Er Zeichen in die Aura, eine dunkle Lohe loderte aus dem geheimsten Grund wie ein farbloser Nebel, der dem Formlosen Form gab, und kaum hatte der Nebel sich auszubreiten begonnen, bildete sich in seinem Zentrum ein Quell aus Flammen, die sich ergossen, um die niederen Sefiroth zu erhellen, hinab bis ins Reich.
    Doch vielleicht war in diesem Zimzum, in diesem Rückzug und dieser Einsamkeit, sagte Diotallevi, schon die Verhei-
    ßung des Tiqqun enthalten, das Versprechen der Wiederkehr.
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    Chochmah
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    In hanc utilitatem clementes angeli saepe figu-
    ras, characteres, formas et voces invenerunt pro-posuerunt que nobis mortalibus et ignotas et stu-pendas, nullius rei iuxta consuetum linguae
    usum significativas, sed per rationis nostrae
    summam admirationem in assiduam intelligibi-
    lium pervestigationem, deinde in illorum ip-
    sorum venerationem er amorem inductivas. *
    Johannes Reuchlin, De arte cabalistica, Hagenau, 1517, III Es war zwei Tage vorher gewesen. An jenem Donnerstag-morgen blieb ich lange im Bett und konnte mich nicht zum Aufstehen entschließen. Ich war am Mittwochnachmittag angekommen und hatte gleich im Verlag angerufen. Diotallevi lag immer noch in der Klinik, und Gudrun war pessi-mistisch gewesen: immer gleich, das heißt immer schlimmer. Ich traute mich nicht, ihn zu besuchen.
    Auch Belbo war nicht im Büro. Laut Gudrun hatte er angerufen und gesagt, er müsse für ein paar Tage aus familiären Gründen verreisen. Seit wann hatte Belbo eine Familie? Das Seltsame war, daß er den Schreibcomputer mitgenommen hatte — Abulafia, wie er ihn inzwischen nannte — samt dem Drucker. Gudrun meinte, er hätte ihn mit nach Hause genommen, um eine Arbeit fertigzustellen. Wieso der Aufwand? Konnte er nicht im Büro schreiben?
    Ich fühlte mich verwaist. Lia und das Kind würden erst in der nächsten Woche zurückkommen. Am Abend vorher hatte ich kurz bei Pilade reingeschaut, aber niemanden dort gefunden.
    * In solcher Nützlichkeit wohltätig haben die Engel oftmals Figuren, Buchstaben, Formen und Stimmen erfunden und uns Sterblichen vorgeschlagen, die uns sowohl unbekannt wie erstaunlich waren und in keiner Weise dem gewohnten Gebrauch der Sprache entsprechen, sondern uns anleiten sollen, von der höchsten Bewunderung unserer Vernunft zur beharrlichen Erforschung alles Intelligiblen und von dort aus zu seiner Verehrung und Liebe zu gelangen.
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    Das Telefon schreckte mich hoch. Es war Belbo, seine Stimme klang fern, verzerrt.
    »Was ist los? Von wo rufen Sie an? Ich dachte schon, Sie wären am Nordpol verschollen, mit Amundsen...«
    »Machen Sie keine Witze, Casaubon, die Sache ist ernst.
    Ich bin in Paris.«
    »In Paris? Aber da sollte ich doch hin! Ich bin es, der endlich das Conservatoire besuchen muß!«
    »Machen Sie keine Witze, ich sag’s noch mal. Ich bin in einer Zelle... nein, in einer Bar, na jedenfalls, ich weiß nicht, ob ich lange reden kann...«
    »Wenn Sie nicht genug Jetons haben, rufen Sie mich doch mit R-Gespräch an. Ich bleibe dran und warte.«
    »Es geht nicht um Jetons. Ich bin in Gefahr.« Er redete plötzlich sehr schnell, damit ich ihn nicht unterbrechen konnte. »Der Plan. Der Plan ist wahr. Bitte jetzt keine Ge-meinplätze. Die suchen mich.«
    »Aber... wer denn?« Ich war noch nicht ganz wach.
    »Die Templer! Herrgott, Casaubon, ich weiß, Sie werden’s nicht glauben, aber es ist alles wahr gewesen. Die
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