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Das Foucaultsche Pendel

Das Foucaultsche Pendel

Titel: Das Foucaultsche Pendel
Autoren: Umberto Eco
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denken, ich hätte die Karte, sie haben mich in die Zange genommen, haben mich gezwungen, nach Paris zu kommen. Am Samstag um Mitternacht wollen sie mich im Conservatoire haben
    — am Samstag, verstehen Sie in der Johannisnacht...« Er redete abgehackt, ich kam nicht mit.
    »Ich will nicht hin, ich haue ab, Casaubon. Die wollen mich umbringen. Rufen Sie De Angelis an — nein, De Angelis nützt nichts, keine Polizei, bloß keine Polizei...«
    »Und was dann?«
    »Keine Ahnung. Lesen Sie die Disketten, in Abulafia, in den letzten Tagen habe ich alles da reingeschrieben, auch was diesen Monat passiert ist. Sie waren nicht da, ich wußte nicht, wem ich’s erzählen sollte, ich hab drei Tage und drei Nächte durchgeschrieben... Passen Sie auf, gehen Sie in mein Büro, in der Schreibtischschublade ist ein Umschlag mit zwei Schlüsseln. Der große nicht, der ist für das Haus auf dem Land, aber der kleine ist der zu meiner Wohnung in Mailand, gehen Sie hin und lesen Sie alles, und dann entscheiden Sie selbst, oder wir sprechen uns wieder — mein Gott, ich weiß nicht mehr, was ich tun soll...«
    »Okay, ich lese. Aber dann, wo finde ich Sie?«
    30
    »Ich weiß nicht, hier wechsle ich jede Nacht das Hotel. Am besten, Sie machen alles heute, und dann warten Sie in meiner Wohnung, ich versuche Sie morgen früh wieder anzuru-fen, wenn ich kann. Ach ja, das Paßwort.«
    Ich hörte Geräusche, Belbos Stimme klang abwechselnd näher und ferner, als ob jemand versuchte, ihm den Hörer wegzureißen.
    »He, Belbo! Was ist los?«
    »Die haben mich gefunden! Das Paßwort...« Ein trockener Knall, wie ein Schuß. Mußte der Hörer gewesen sein, der runtergefallen und an die Wand geschlagen war, oder auf die Ablage unter dem Telefon. Ich hörte ein Keuchen. Dann das Klicken des Hörers, der eingehängt wurde. Sicher nicht von Belbo.
    Ich ging sofort unter die Dusche. Ich mußte wach werden, ich begriff nicht, was los war. Der Plan sollte wahr sein?
    Absurd, wir hatten ihn doch erfunden! Wer hatte Belbo entführt? Die Rosenkreuzer? Der Graf von Saint-Germain, die Ochrana, die Tempelritter, die Assassinen? An diesem Punkt war alles möglich, denn alles war unwahrscheinlich geworden. Es konnte sein, daß Belbo übergeschnappt war, in der letzten Zeit war er so nervös gewesen, ich wußte nicht, ob wegen Lorenza Pellegrini oder weil ihn seine Kreatur immer mehr faszinierte — oder besser gesagt, der Plan war unsere gemeinsame Kreatur gewesen, meine, seine und Diotallevis, aber Belbo schien mittlerweile völlig von ihm besessen, weit über die Grenzen des Spiels hinaus... Müßig, weitere Hypothesen aufzustellen. Ich ging in den Verlag, Gudrun empfing mich mit säuerlichen Bemerkungen über die Tatsache, daß sie jetzt die einzige sei, die den Laden auf Trab hielt Ich stürmte sofort ins Büro, fand den Umschlag, die Schlüssel, eilte in Belbos Wohnung.
    Geruch nach abgestandener Luft, nach ranzigen Kippen, die Aschenbecher randvoll, wohin man blickte, die Spüle in der Küche vollgepackt mit dreckigem Geschirr, der Mülleimer überquellend von leeren Konservendosen. Auf einem Regal im Arbeitszimmer drei leere Whiskyflaschen, die vierte enthielt noch zwei Fingerbreit Alkohol. Es war die Wohnung von einem, der sich die letzten Tage hermetisch darin einge-31
    schlossen hatte, ohne einen Fuß vor die Tür zu setzen, nur essend, was gerade da war, um pausenlos durchzuarbeiten wie ein Verrückter, ein Süchtiger.
    Es waren zwei Zimmer im ganzen, beide gesteckt voller Bücher, Stapel in jeder Ecke, und die Regale bogen sich unter der Last. Ich sah sofort den Tisch mit dem Computer, dem Drucker und dem Diskettenbehälter. Wenige Bilder an den wenigen nicht von Regalen bedeckten Flächen, und direkt über dem Tisch an der Wand ein alter Stich aus dem siebzehnten Jahrhundert, eine sorgfältig gerahmte Reproduktion, eine barocke Allegorie, die ich im vorigen Monat nicht bemerkt hatte, als ich kurz auf ein Bier heraufgekommen war, bevor ich in die Ferien fuhr.
    Auf dem Tisch stand ein Foto von Lorenza Pellegrini, mit einer Widmung in winziger, etwas kindlicher Schrift. Man sah nur das Gesicht, aber der Blick, der Blick allein verwirrte mich schon. In einer unwillkürlichen Regung von Taktge-fühl (oder von Eifersucht?) drehte ich das Foto um, ohne die Widmung zu lesen.
    Es gab ein paar Ordner und Mappen. Ich suchte nach etwas Interessantem, aber es waren bloß Tabellen, Verlagspro-gramme, Kalkulationen. Doch mitten zwischen diesen Papieren fand ich
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