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Das fliegende Klassenzimmer.

Das fliegende Klassenzimmer.

Titel: Das fliegende Klassenzimmer.
Autoren: Erich Kästner
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Türschwelle in die Knie gesunken und hielt Martin mit beiden Armen fest umklammert.
    Da riskierten sogar die Augen des Herrn Thaler je eine Träne.
    Er wischte sie heimlich fort, hob den Koffer auf, der achtlos am Boden lag, und sagte: »Aber Junge, um alles in der Welt, wie kommst du denn hierher?«
    Es dauerte ziemlich lange, bis sie sich in die gute Stube hineinfanden. Die Mutter und der Junge lachten und weinten durcheinander, und der Vater stotterte mindestens zehnmal:
    »Nein, so was!« Dann stürzte er hinaus. Denn sie hatten natürlich vor lauter Aufregung vergessen, die Tür zu schließen.
    Das Erste, was Martin herausbrachte, war: »Das Geld für die Rückfahrt hab ich auch.«
    Endlich hatten sich die drei so weit beruhigt, dass der Junge berichten konnte, wieso er hier und nicht in Kirchberg war. »Ich habe mich wirklich sehr zusammengenommen«, erzählte er.
    »Ich habe auch nicht geweint. Das heißt: Geweint hab ich schon; aber da war es sowieso zu spät. Der Doktor Bökh, unser Hauslehrer, merkte trotzdem, dass irgendetwas nicht in Ordnung war. Ja. Und dann gab er mir zwanzig Mark. Unten im Park. An der Kegelbahn. Geschenkt hat er’s mir. Und ich soll euch vielmals von ihm grüßen.«
    »Danke schön«, sagte die Eltern im Chor.
    »Und ich habe sogar noch ein paar Geschenke kaufen können«, berichtete Martin stolz. Und dann gab er dem Vater die Zigarren mit der Bauchbinde und dem Havannadeckblatt.
    Und der Mutter überreichte er die gestrickten Pantoffeln. Sie freuten sich kolossal. »Haben dir denn unsere Geschenke gefallen?«, fragte die Mutter.
    »Ich hab sie mir noch gar nicht angesehen«, gestand Martin.
    Und nun öffnete er das Paket, das sie ihm nach Kirchberg geschickt hatten. Er fand großartige Sachen darin: ein neues Nachthemd, das ihm die Mutter selber geschneidert hatte; zwei Paar wollene Strümpfe;
    ein Paket Lebkuchen mit Schokoladenguss; ein spannendes Buch über die Südsee; einen Zeichenblock und, das war das Schönste, einen Karton bester Buntstifte.
    Martin war hell begeistert und verteilte Küsse.
    Es war, genau genommen, ein Heiliger Abend, wie er sich schöner gar nicht ausdenken lässt. - Die Kerzen auf dem winzigen Christbaum brannten zwar sehr bald herunter. Aber man zündete die Lampe an. Die Mutter kochte Kaffee. Der Vater rauchte eine Weihnachtszigarre. Dann aßen sie die Lebkuchen und fühlten sich glücklicher als sämtliche lebendigen und toten Milliardäre zusammengenommen. Die Mutter musste übrigens die neuen Pantoffeln probieren und meinte, so wundervolle Pantoffeln habe sie nie vorher gehabt.
    Später setzte sich Martin hin, holte eine einfache Postkarte, die er am Bahnhof gekauft hatte, aus der Tasche und begann zu malen. Mit den neuen Buntstiften natürlich!
    Die Eltern sahen einander lächelnd an, und dann schauten sie ihm zu. Er malte einen jungen Herrn, dem hinten aus dem Jackett zwei große Engelsflügel herauswuchsen. Dieser seltsame Mann schwebte aus den Wolken herab. Und unten stand ein kleiner Junge, dem riesige Tränen aus den Augen tropften. Der Herr mit den Flügeln hielt eine dicke Brieftasche in den Händen und streckte sie dem Knaben entgegen.
    Martin lehnte sich zurück, kniff fachmännisch die Augen zusammen, überlegte eine Weile und malte dann noch Verschiedenes auf die Karte: vor allem sehr, sehr viele Schneeflocken und im Hintergrund eine Eisenbahn, auf deren Lokomotive ein geschmückter Christbaum wuchs. Neben dem Zug stand der Stationsvorsteher und hob den Arm, um das Abfahrtssignal zu geben. Darunter zeichnete der Junge in Blockschrift: »Ein Weihnachtsengel namens Bökh.«
    Auf die Rückseite der Postkarte schrieben die Eltern ein paar Zeilen.
    »Sehr verehrter Herr Doktor«, schrieb Frau Thaler. »Unser Junge hat wahrhaftig Recht, wenn er Sie als Engel gezeichnet hat. Ich kann nicht malen. Ich kann Ihnen nur mit Worten danken. Vielen, vielen Dank für das lebendige Weihnachtsgeschenk, das Sie uns beschert haben. Sie sind ein guter Mensch. Sie verdienen, dass alle Ihre Schüler gute Menschen werden! Dies wünscht Ihnen Ihre ewig dankbare Margarete Thaler.«
    Der Vater knurrte: »Du hast mir ja gar keinen Platz gelassen.«
    Und er brachte wirklich nicht viel mehr als seinen Namen hin.
    Zum Schluss schrieb Martin die Adresse.
    Dann zogen sie ihre Mäntel an und gingen miteinander zum Bahnhof. Dort steckten sie die Karte in den Nachtbriefkasten, damit sie der Justus bestimmt am ersten Feiertag früh bekäme. Und dann spazierten sie wieder
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