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Das Feuer des Daemons

Das Feuer des Daemons

Titel: Das Feuer des Daemons
Autoren: Thea Harrison
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einem strahlenden Leben nach dem Tod entgegen.
    In Wirklichkeit waren dunkle, wütende Geister meistens deshalb dunkel und wütend, weil sie nachtragend waren. Außerdem neigten sie dazu, sich einzunisten und ihre Feindseligkeit wie eine Krankheit auf dem ganzen Anwesen zu verbreiten, wenn man sie nicht daran hinderte.
    Die Macht des Orakels war die Macht der Prophezeiung. Diese Prophezeiungen hatten nichts mit Wahrsagerei oder göttlichen Offenbarungen zu tun, aber in gewisser Weise mit Hellseherei beziehungsweise mit einer Wahrnehmungsfähigkeit, die über die fünf Sinne hinausging. Wenn jemand Fragen nach Verblichenen stellte, kam gelegentlich ein Gespräch mit den Toten dazu. Die Kraft wurde immer an eine weibliche Person in der Familie Andreas weitergegeben, doch nicht alle Frauen der Familie waren geeignete Kandidaten. Das Potenzial, zum Orakel zu werden, manifestierte sich entweder in einem ausgeprägten zweiten Gesicht oder in einer Affinität zu geistigen Wesen, und manchmal konnte der Schleier der Zeit merkwürdig dünn werden.
    Sowohl Grace als auch Petra hatten schon sehr früh Potenzial gezeigt, weshalb ihre Großmutter beiden Mädchen die Kenntnisse und Traditionen beigebracht hatte, die sie brauchen würden, falls die Kraft auf sie überging. Und was Chloe anging, hatte Grace so ihre Vermutungen. Eine solche Fähigkeit bei einem Kind zu erkennen, war nicht ganz einfach, denn alle kleinen Kinder hatten eine ausgeprägte Fantasie und sprachen oft mit unsichtbaren Freunden. Normalerweise wurde das Potenzial erkannt, wenn die Kandidatin etwa fünf Jahre alt war und man sich lange genug zusammenhängend mit ihr unterhalten konnte, um das Vorhandensein der Gabe zu bestätigen.
    Was Grace auch zustoßen mochte, ob sie ein langes Leben vor sich hatte oder jung starb, Max würde niemals das Orakel werden. Die Macht ging nie auf die Männer der Familie Andreas über, und diese zeigten auch nie das Potenzial. Allerdings konnten sie es an ihre Töchter vererben, und einige Männer im Familienstammbaum waren mächtige Hexer geworden.
    Grace beneidete Max heute aus vielerlei Gründen.
    Sie verstaute die Lebensmittel, die gekühlt werden mussten, blieb anschließend einige Minuten vor der offenen Kühlschranktür stehen und genoss die kühle Luft. Dann schenkte sie sich ein Glas kaltes Wasser ein, schluckte eine starke Schmerztablette und humpelte ins Wohnzimmer. Nachdem sie die Fliegengittertür geschlossen hatte, ließ sie die Haustür offen stehen, in der Hoffnung, vielleicht einen verirrten Windhauch einzufangen.
    Dann sah sie nach Max. Der kleine Mann zersägte noch immer Baumstämme, die pummelige Hand vor einem Auge zur Faust geballt. Das war doch mal ein ausgiebiges Nickerchen. Sie nahm den stämmigen neun Monate alten Jungen auf den Arm. So vollkommen reglos kam er ihr schwerer vor. Sie trug ihn ins Kinderzimmer und legte ihn behutsam in sein Bettchen, wo er sich nicht mal mehr rührte, um sich umzudrehen.
    Das Wichtigste war erledigt. Müde schleppte sich Grace zurück ins Wohnzimmer und setzte sich ächzend auf die Couch.
    Ihr Blick fiel auf die Collegebücher, die sich noch immer auf dem Couchtisch stapelten.
    Direkt nach der Highschool hatte sie sich noch nicht bereit gefühlt, aufs College zu gehen. Stattdessen hatte sie sich ein Jahr lang herumgetrieben, war mit ein paar Jungs ausgegangen und mit ihrer Freundin Jacqui quer durchs Land gefahren, um die großen Zehen in den Pazifik zu tauchen. Dann waren sie wieder nach Hause gefahren, und Grace hatte in Restaurants gejobbt und ein bisschen Geld zusammengespart. Mit einem Jahr Verspätung hatte sie schließlich am College angefangen, und deshalb war sie jetzt noch nicht fertig.
    Der vergangene Frühling hätte ihr letztes Semester sein sollen. An jenem regnerischen Freitagabend waren Petra, Niko und Grace gut gelaunt zusammen essen gegangen. Für Grace hatten gerade die Frühlingsferien angefangen, und Niko hatte bei der Arbeit eine Gehaltserhöhung bekommen.
    Um ihr Leben zu zerstören, war nur ein einziger Lastwagenfahrer nötig gewesen, der am Lenkrad eingeschlafen war, die Mittellinie überfahren hatte und in den Gegenverkehr geraten war. Bei dem Unfall waren Petra und Niko ums Leben gekommen, und Grace beinahe ebenfalls. Hätten Chloe und Max auch im Wagen gesessen, wie es ursprünglich geplant gewesen war, wären womöglich die letzten Mitglieder der Familie Andreas bei einem einzigen furchtbaren Unfall ausgelöscht worden. Doch Petra hatte es
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