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Das Feuer der Wüste

Titel: Das Feuer der Wüste
Autoren: Karen Winter
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Pensionskammer zu bekommen. Horatio hatte Glück gehabt, war an eine Frau geraten, die mit den Kramers ein privates Hühnchen zu rupfen hatte. Sie hatte Horatio alles gesagt, was sie wusste, hatte ihm auf einem Xerox-Gerät Kopien von einigen Unterlagen angefertigt, und auch die Beschreibung und Adresse des Kramerhauses hatte er von ihr bekommen.
    Je näher er der weißen Villa kam, desto langsamer fuhr Horatio. Kurz bevor er sie erreichte, machte er das Licht aus, fuhr die letzten Meter tastend im Dunkeln weiter.
    Er ließ das Auto am Straßenrand stehen und ging langsam um das Grundstück herum. Überall standen hohe Zäune, die an manchen Stellen sogar mit Stacheldraht abgedeckt waren. Horatio lächelte. Was nützt einem der ganze Reichtum, wenn er mit so viel Angst vor Verlust verbunden ist?, dachte er. Merken die nicht, dass sie Gefangene sind? Gefangene des Geldes, eingesperrt hinter Stacheldraht?
    Gern hätte er das Grundstück betreten, hätte sich angeschlichen. Vielleicht wäre er sogar in das Haus hineingekommen, aber Horatio war kein Held, der einfach so mit einem Sprung Mauern und Stacheldrahtzäune überwinden konnte. Außerdem hatte er Angst vor Hunden. Und hinter dem Zaun erspähte er zwei Dobermänner, die sich um einen blutigen Brocken Fleisch stritten. Also reckte er sich nur, so hoch er konnte. Hinter einem Fenster saß ein alter Mann in einem Stuhl. Heinrich Kramer.
    Der Heinrich Kramer, der früher die Deutsche Diamantengesellschaft geführt hatte und über den seit dieser Zeit schlimme Gerüchte in Umlauf waren. Als in Europa der Zweite Weltkrieg tobte, war Kramer plötzlich verschwunden gewesen. Und 1945 im Frühsommer war er zurückgekehrt. Er zog seither sein Bein nach, aber niemand wusste, wo er in den Kriegsjahren gewesen war. Ebenso wie niemand wusste, was genau er während der Nama- und Hereroaufstände getan hatte, als er unter General von Trotha ein Regiment geführt hatte.
    Jetzt saß er da, ein alter Mann, dessen Kraft nicht mehr reichte, um selbst zu beschützen, was er sich über viele Jahre hinweg ergaunert hatte.
    Horatio musste ein leises Mitleid unterdrücken. Früher, als er aus einer armen Familie kommend andere Kinder gekannt hatte, deren Familien reicher waren als er, und jetzt, da er Männer in seinem Alter kannte, die teure Autos fuhren, wertvolle Uhren besaßen und weiße Villen, hatte er viel über den Segen des Reichtums nachgedacht. Er hatte auch einmal vor einer Lotterie gestanden und überlegt, was er mit so viel Geld anfangen würde. Viel war es nicht gewesen. Er würde den Eltern und Geschwistern kaufen, was sie sich wünschten: ein neues Häuschen vielleicht, der Mutter und den Schwestern und Schwägerinnen Kühlschrank und Waschmaschine, den Männern Fahrräder und Dauerkarten für das Stadion. Ein Auto brauchte man in Windhoek nicht, zumindest nicht da, wo seine Familie schon immer lebte. Für sich selbst wünschte er nichts, nur eine neue Brille, die dünnere Gläser hatte und einen leichten Rahmen.
    Reichtum, das hatte Horatio schon früher erkannt, bedeutete das Gegenteil von Freiheit. An diesem alten Mann sah man es nur allzu deutlich. Er war Gefangener seiner selbst, saß hinter Stacheldraht, bewacht von Bluthunden, nicht mehr fähig, zu tun und zu lassen, was er wirklich wollte, und – was das Schlimmste war – voller Angst, jemand könnte ihm etwas wegnehmen.
    Horatio hatte sich immer gefragt, warum die Menschen nach mehr und mehr Geld strebten. Man konnte ja doch nur essen, bis man satt war, nur in einem Bett schlafen, nur in einem Haus wohnen, nur in einem Paar Schuhen gehen.
    Henry Kramer, das hatte Horatio von der jungen Frau in der Bank erfahren, wohnte ebenfalls hier. Auch er war infiziert von der Gier nach immer mehr Geld und Besitz. Horatio wusste nicht, was der junge Mann mit Geld verband, vielleicht Anerkennung oder Liebe. Doch Kramer war dumm, wenn er tatsächlich glaubte, damit etwas Echtes, etwas Bleibendes kaufen zu können.
    Wie musste das sein, wenn man niemals sicher sein konnte, um seiner selbst willen geliebt zu werden? Niemals sagen zu können, ob die Frau, die man liebte, auch morgen noch käme, wenn statt des Mercedes nur ein altes Fahrrad am Straßenrand stehen würde?
    Und man selbst? Was geschah mit der Seele, wenn das Geld abhandenkam? Woraus schöpfte man dann? Vergaß man bei der Jagd auf das Geld, was einen sonst noch ausmachte?
    Als endlich Henry Kramers Wagen die Auffahrt herauffuhr, war Horatio tief in Gedanken
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