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Das Falsche in mir

Das Falsche in mir

Titel: Das Falsche in mir
Autoren: Christa Bernuth
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mir. Irgendwo hier muss sie wohnen. Ich hole tief Luft, spüre die Welle der Begierde heranrollen, bin bereit, mich hineinzustürzen, doch dann ertönt ein leises, melodisches Geräusch, das wie ein mechanisches Vogelzwitschern klingt, und ich verlangsame sofort meine Schritte, die Welle zieht sich zurück, die Erregung fällt in sich zusammen, hinterlässt tiefe Enttäuschung und einen metallischen Nachgeschmack auf der Zunge.
    Es ist ihr Handy. Sie zieht es im Gehen aus dem Parka und verfällt in das übliche Geplapper junger Mädchen, die mit ihren besten Freundinnen telefonieren.
    Ich höre, wie sie sich für denselben Abend am Lessingdamm verabredet, in einem bekannten Studentenlokal, dem »Jensen«, für das sie eigentlich noch zu jung ist. Ich bin plötzlich nicht mehr sicher, ob sie tatsächlich mit einer Freundin spricht. Sie lacht sehr viel und es hört sich übertrieben und künstlich an. Meine ältere Tochter lacht so, wenn sie einen Jungen am Apparat hat, den sie interessant findet, was sie mir gegenüber nach dem Telefonat allerdings immer heftig bestreitet.
    Ich lasse mich zurückfallen und beobachte aus der wachsendenEntfernung, wie sie vor einem zartgelb gestrichenen Jugendstilhaus stehen bleibt, ihren Schlüssel aus der Tasche nestelt, dabei immer weiterplappert und kichert, um schließlich, das Handy schief zwischen Ohr und Schulter gepresst, die Haustür aufzusperren. Ich drehe ab, ernüchtert und deprimiert. Mein Körper ist wie tot, mein Kopf hingegen erwacht wie aus einem Traum. Alles ist unverändert, die Straße, der Nieselregen, die nassen Blätter auf dem Bürgersteig, die kalte, neblige Luft. Aber das Grandiose ist weg, das Dramatische, die beängstigende Euphorie. Ich bin jetzt ein Familienvater auf dem Heimweg, der einen Geschäftsabschluss vermasselt hat, weil der Kunde auf Sicherheiten bestand, die die Firma nicht bietet.
    High Security Technology heißt das Unternehmen, für das ich arbeite. Wir verkaufen Alarmanlagen an Firmen und Privatleute. Meine Aufgabe ist es, mir die örtlichen Gegebenheiten anzusehen und ein umfassendes Konzept zu erstellen, das allen Bedürfnissen des Kunden gerecht wird. Ich bin viel unterwegs und sehr frei in meiner Zeiteinteilung. Niemand achtet darauf, wann ich wo bin, solange meine Abschlüsse stimmen.
    Vielleicht habe ich doch den falschen Beruf.
    Ich bin nicht mehr deprimiert, aber müde wie ein alter Mann, als ich die Treppen zu unserer Wohnung hochsteige. Schon im zweiten Stock höre ich zwei laute weibliche Stimmen. Ich erkenne meine Frau und meine ältere Tochter, und soweit ich das beurteilen kann, schreien sie sich an.
    Ich sperre die Tür auf, der Lärm springt mir förmlich ins Gesicht, und ich möchte zurückweichen, kehrtmachen, weggehen. Stattdessen ziehe ich langsam meinen Mantel aus und hänge ihn sorgfältig an einen der freien Haken neben dem Spiegel. Dann bewege ich mich widerwillig Richtung Küche. Das Geschrei schwillt an und bricht dann plötzlich ab. Ich habe kein Wort verstanden. Am liebsten würde ich sofort in mein Arbeitszimmergehen und die beiden sich selbst überlassen, aber das würde mir meine Frau nie verzeihen.
    Ich betrete die Küche, die Höhle der Löwinnen.
    Sie stehen einander gegenüber. Birgit, meine Frau, lehnt mit verschränkten Armen an dem kleinen Esstisch, Teresa, meine Tochter, steht neben dem Herd. Auch sie hat die Arme energisch verschränkt, ihr Gesicht sieht verheult aus.
    »Was ist los?«, frage ich und komme mir plötzlich vor wie in einem Theaterstück. Alles erscheint mir unecht, kulissenhaft, selbst Birgit und Teresa machen auf mich den Eindruck von schlechten Schauspielerinnen, die gewissenhaft ihre Rollen auswendig gelernt haben, aber gar nicht wissen, was sie da eigentlich sagen.
    Ich schließe die Augen und öffne sie wieder. Das gespenstische Gefühl, gar nicht wirklich hier zu sein, bleibt. Vor einer halben Stunde war ich lebendig, jetzt bin ich eine Hülle, und alles um mich herum ist von schemenhafter Unwirklichkeit.
    »Was ist los?«, frage ich. Auch meine Stimme hört sich seltsam an, hohl, als käme sie aus einer Tonne. Mutter und Tochter sind aber offenbar so in Rage, dass es ihnen nicht auffällt.
    »Deine Tochter hat einen festen Freund«, sagt Birgit schließlich, um Beherrschung bemüht. Ich sehe zu Teresa. Sie ist fünfzehn, im selben Alter wie Marion damals. Es war vorauszusehen. Trotzdem will ich es nicht. Ich will es nicht, stelle ich beinahe verwundert fest. Ich will es auf gar
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