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Das ermordete Haus

Das ermordete Haus

Titel: Das ermordete Haus
Autoren: Pierre Magnan
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»Das ist gar kein Ausdruck! Sie hat verlangt, man soll ihr die Standuhr und die Wiege aufs Zimmer bringen.« – »Was für eine Wiege?« – »Was für ’ne Uhr?« – »Ach, das kann man nicht so leicht erklären. Sie würden es doch nicht verstehen!«
    Als Séraphin vor dem Backhaus erschien und hoch aufgerichtet, die unheilvolle Zuckerdose unter den Arm geklemmt, die ganze Türöffnung ausfüllte, saß Célestat zusammengesunken vor dem kleinen Tisch mit den Brotschiebern. Seine mehlbestäubten Arme lagen vor ihm – reglos, nutzlos. Er hatte nicht einmal mehr genügend Kraft, um mit dem Teigkneten anzufangen. Das Fieber, das Marie verzehrte, fühlte auch er in seinen Adern pochen.
    Als ihm bewußt wurde, daß jemand das restliche Tageslicht der Türöffnung verstellte, hob er ein wenig den Kopf. Seine Hand machte eine Bewegung, eine schwache Bewegung – wozu auch? – zum Gewehr. Sein Leben zu retten, erschien ihm sinnlos, jetzt, da Marie sterben würde.
    Séraphin bückte sich tief, als er durch die niedrige Türöffnung schritt. Er sah die auf seinen Bauch gerichtete Waffe. »Gib dir keine Mühe«, sagte er, »ich weiß, wer meine Mutter umgebracht hat.«
    »So so, du weißt es«, sagte Célestat zerstreut. Diese alte Geschichte gehörte nicht mehr zu seinem Leben; es schien ihm, als wäre sie einem anderen widerfahren, als habe irgend jemand sie ihm erzählt und er habe sie sich gleichgültig angehört. »Der Zorme ist tot«, verkündete Séraphin.
    »So so …« sagte Célestat.
    Er ließ sich diese zu spät eingetroffene Neuigkeit langsam durch den Kopf gehen. Noch vor einer Woche wäre er vielleicht freudetrunken auf die Straße gerannt und hätte sich zusammennehmen müssen, um nicht überall herumzuposaunen: »Der Zorme ist tot!« Doch jetzt nahm er sie in seinem Unglück kaum zur Kenntnis.
    »Jetzt, wo der Zorme tot ist, könnte ich dir da vielleicht erzählen, wie es wirklich gewesen ist?«
    Séraphin zuckte mit den Schultern. »Dazu bin ich eigentlich nicht hergekommen«, sagte er.
    Célestat starrte auf das unverputzte Steingewölbe des Back- hauses, das nur mit weißem Kalk getüncht worden war. »Hättest du vielleicht eine Zigarette für mich? Ich bin so durcheinander, daß ich meine auf dem Ladentisch liegenlassen habe.«
    Séraphin rollte ihm eine Zigarette und zündete sie ihm an. Der Geruch von Tabak, Mehl und den Bündeln aus Kiefernreisig, die unter der schrägen Wand aufgestapelt lagen, ließen den armen Bäcker etwas freier durchatmen.
    »Als wir damals auf La Burlière zugeschlichen sind«, sagte er, »kam der Zorme aus der Tür; mit einem schrecklichen Gesichtsausdruck und blutroten Fingern. Und wir kauerten da … Die tranchets zitterten in unseren Händen. Er ist zum Brunnen gegangen. Dann kam er zurück und ist auf der Draisine weggefahren. Daraufhin sind wir rein. Das dampfte von Blut wie beim Schweineschlachten … Wir haben alles nur durch einen blutigen Schleier gesehen. Da haben wir gern auf unser Wechselgeld verzichtet. Wir haben uns auf Schleichwegen in Richtung Ganagobie verzogen. Jeder für sich allein. Wir haben uns nie wieder getroffen. Wenn wir uns zufällig begegneten, sind wir in Seitenstraßen abgebogen. Und seither … seither hab ich eigentlich immer nur Angst gehabt. Und die beiden anderen, die hatten bis zu ihrem Tod auch nur Angst, glaube ich. Wir hatten Angst vor dem Zorme.«
    »Was die beiden Toten angeht«, sagte Séraphin, »die hat der Zorme auf dem Gewissen. Und der hatte auch Angst – vor euch.« »Der Zorme? Nicht du?«
    »Nein. Ich hatte die Absicht. Aber er hat es für mich getan.«
    »Da war ja nicht nur der Zorme … Die Justiz war ja schließlich auch noch da. Sogar nachdem die drei unter der Guillotine geendet hatten, hab ich noch das Fallbeil an meinem Hals gespürt. Wie oft bin ich aus dem Schlaf hochgeschreckt. Ich hörte es niederfallen, mit einem pfeifenden Geräusch, wie eine geschwungene Sense.«
    Célestat verstummte für einige Sekunden. »Mein armer Vater«, fuhr er fort, »auf seinem Totenbett hat er zu mir gesagt, Célestat, hat er zu mir gesagt, wenn du etwas brauchen solltest, was immer es sei, wende dich an Félicien Monge. Er kann es dir nicht abschlagen, verstehst du? Er kann es nicht … Und dann hat er etwas gemurmelt, von irgendeiner Angelegenheit, die es einmal zwischen den beiden Großvätern gegeben hatte. Ich weiß nicht, was es war …«
    »Ich schon«, meinte Séraphin.
    »So, du weißt Bescheid. Dann kann ich ja auch
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