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Das Erbe

Das Erbe

Titel: Das Erbe
Autoren: Krystyna Kuhn
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schwer, John Milton als einen der größten englischen Dichter darzustellen. Alles eine Frage der Begründung.
    Noch fünf Sätze und sie hatte es geschafft.
    Noch vier Sätze.
    Noch …
    Es klopfte an der Tür.
    Das war ein absolutes No-Go während einer Prüfung. Schließlich hing draußen an der Tür ein Stoppschild mit dem Hinweis: Prüfung. Bitte nicht stören . Deshalb war auch der Lautsprecher abgeschaltet.
    Professor Hill schüttelte ungläubig den Kopf, aber sie machte keine Anstalten, auf das Klopfen zu reagieren. Der Laut wiederholte sich und schließlich wurde die Tür aufgerissen.
    Seltsamerweise schienen alle froh über die Unterbrechung zu sein. Vielleicht dachten einige, es gäbe eine Art Nachspielzeit aufgrund der Störung. Was natürlich Schwachsinn war. Die Uhr tickte unbarmherzig weiter.
    Mit Tom hatte in diesem Moment keiner gerechnet. Er kam ganz selbstverständlich ins Zimmer und schloss die Tür sorgfältig hinter sich. Er trug einen langen dunkelgrauen Mantel, darunter eine schwarz-weiß karierte Hose und ein blau-weiß gestreiftes Hemd. Wie immer hatte er einen Schal um den Hals geschlungen. Sein Kleidungsstil war extravagant wie immer. Doch im Gegensatz zu sonst strahlte er nicht diese lässige, überlegene Haltung aus. Er trat nach vorne ans Pult, blieb stehen und starrte schweigend in die Menge. In seiner Miene lag eine Art von Anspannung, die unterdrücktes Gemurmel zur Folge hatte.
    Tom kannte jeder am College. Er war der Star der Schauspieltruppe und trotz der Ereignisse um Bens Zusammenbruch und die lange Zeit in der Klinik sein fester Freund.
    Rose mochte ihn nicht besonders. Tom konnte keine normale Unterhaltung führen. Er hatte nur Filme im Kopf und präsentierte sich ständig als wandelndes Lexikon in Sachen Blockbuster aus Hollywood. Das zumindest machte ihn zu einem perfekten Match für Benjamin.
    »Mr Levinski, was fällt Ihnen ein?«, fragte Mrs Hill. »Hier wird eine Prüfung geschrieben!«
    In Tom kam Bewegung. »Irgendwann, möglicherweise aber auch nie, werde ich dich bitten, mir eine kleine Gefälligkeit zu erweisen.«
    Rose erkannte das Zitat aus Der Pate . Normalerweise würde sie denken, dass er einen Scherz machte, aber heute fehlte jede Art von Ironie in seiner Stimme.
    Dennoch stieg unterdrücktes Gelächter auf. Tom war der geborene Comedian und keiner konnte einschätzen, was er vorhatte. Rose hätte sich nicht gewundert, wenn er eine Art Flashmob plante. Eine spontane Aktion, die die Collegeverwaltung in Rage bringen würde. Es ging das Gerücht, sein Vater würde das College mit großzügigen Spenden unterstützen. Wie auch immer – Tom schien sich nie Sorgen zu machen, dass man ihn vom Grace warf.
    »Verlassen Sie sofort den Raum, Mr Levinski.«
    Tom hob die Hand. »Entschuldigen Sie, verehrte Mrs Hill, aber … ich glaube, Sie sollten sich das anhören.«
    Er zog einen Stuhl an die Wand, stieg darauf und schaltete den Lautsprecher ein.
    »Was soll das? Befolgen Sie gefälligst meine Anweisung.«
    Tom schüttelte den Kopf. »Nur einen Moment und Sie werden verstehen. Zwei Minuten, um genau zu sein.«
    Von hinten rief Chris: »Deine Uhr geht wohl falsch, Tom. Wir haben noch genau fünf Minuten und dreizehn, nein zwölf Sekunden.«
    Die Köpfe senkten sich hastig. Auch Rose versuchte, sich wieder auf den vorletzten Satz zu konzentrieren, doch Tom fing plötzlich an zu schreien. »Hört auf. Aufhören. Das hier ist das Ende. Stifte zur Seite …«
    Okay, er war dabei durchzudrehen.
    »Mr Lev …«, versuchte Mrs Hill einzugreifen, aber sie kam nicht dazu, den Satz zu beenden.
    »He, kapiert ihr denn nicht? Ihr müsst zuhören …«
    »Hast du sie nicht alle?« Chris war aufgesprungen. »Wenn du dabei bist, einen Koller zu kriegen, geh einfach raus, aber …«
    »Wenn ich sage, das ist das Ende, dann meine ich das auch so.«
    Tom hatte seine Stimme wieder gesenkt, aber es lag ein seltsamer Unterton in ihr, der Rose Gänsehaut verursachte.
    »Wartet einfach ab. Gleich werdet ihr verstehen.«
    Chris verstummte.
    Eine unnatürliche Stille fiel herab.
    Alle starrten wie gebannt nach vorne.
    Ein lautes Knacken ertönte. Der Lautsprecher rauschte, wie immer, wenn gleich eine Durchsage erfolgte. Und dann war die Stimme Richard Waldens zu vernehmen. Er atmete schwer, ja, der Dean schien kaum Luft zu bekommen, als er ohne Unterlass hervorpresste: »Code 111. Code 111. Code 111.«
    Panik brach aus.

2. Im Zeichen der Eule
    Als ich an diesem Morgen aufwachte, war mein
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