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Das Erbe in den Highlands

Titel: Das Erbe in den Highlands
Autoren: Lynn Kurland
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war? Oder noch schlimmer, wenn die Leute drinnen alle tot waren?
    Sie atmete tief durch und wandte sich der Tür zu. Sie musste ihre Phantasie zügeln, bevor die endgültig mit ihr durchging. Das hier war ihr Zuhause. Sie hatte jedes Recht, an die Tür zu klopfen und zu erwarten, dass eine normale, alltägliche Person ihr öffnete und sie willkommen hieß.
    Noch ehe ihre Fingerknöchel mit dem Holz in Berührung kamen, wurde die Tür geöffnet, und sie stand einem verdrießlich dreinschauenden Butler gegenüber. In seinem dunklen Anzug, dem gestärkten weißen Hemd und der korrekten schwarzen Fliege konnte er nur der Butler sein. Seine weißen Haare waren über den Ohren sorgfältig gestutzt, und kein Härchen tanzte aus der Reihe. Genevieve war davon überzeugt, dass er sich auch mit nichts Geringerem zufriedengegeben hätte. Unwillkürlich musste sie lachen.
    »Oh, Sie sind wirklich perfekt.«
    Er verzog keine Miene. »Lady Buchanan, nehme ich an«, sagte er auf irgendwie seltsame Art.
    Genevieve verging das Lächeln. Der Butler schien also im Moment nicht gerade hingerissen von ihr zu sein. Wahrscheinlich galt es als unhöflich, bei der ersten Begegnung schon begeistert zu sein. Sie nickte und streckte die Hand aus.
    »Zumindest mit dem Nachnamen haben Sie recht. Und Sie sind?«
    »Worthington, Mylady«, erwiderte er, ohne ihre Hand zu beachten. »Der Haushofmeister.«
    »Aha, der Haushofmeister«, wiederholte sie. »Ich freue mich, Sie kennenzulernen.«
    »Zweifelsohne, Mylady«, entgegnete er trocken, als er an ihr vorbeiging, um ihr Gepäck zu nehmen.
    »Nicht, ich kann ...«
    Bei dem Blick, mit dem er sie bedachte, erstarben ihr die Worte auf den Lippen. Sie kam sich vor wie ein Kind, das im Kindergottesdienst ein Schimpfwort gerufen hatte. Worthington nahm seine Arbeit offensichtlich sehr ernst.
    »Hier entlang, Mylady«, sagte er, und schritt voraus in die Eingangshalle.
    Sie folgte ihm und blieb dann bei dem Anblick, der sich ihr bot, wie angewurzelt stehen. Ein Schauder des Entzückens durchlief sie. Der Rittersaal. Keine ihrer Burgen in den Umzugskartons, die vielleicht irgendwann eintreffen würden, wurde diesem Raum gerecht. Er war mindestens zwei Stockwerke hoch, und an jedem Ende befand sich ein großer offener Kamin. Groß war vielleicht nicht die richtige Wortwahl. In jeden davon hätte man einen halben Baum legen können, und es wäre immer noch Platz gewesen, einen oder zwei Keiler darin zu braten.
    Unter ihren Füßen befanden sich Steinplatten, auf die man im Mittelalter Binsen gestreut hätte, die jetzt aber so geschrubbt und gewienert waren, dass sie richtig glänzten. Gobelins mit mittelalterlichen Motiven hingen an den Wänden und reichten vom Boden fast bis an die Decke. Entweder stammten sie aus dieser Zeit oder waren äußerst gute Kopien. Als Genevieve auf eine Wand zuging und die Hand ausstreckte, um das Material zu berühren, räusperte sich Worthington vernehmlich. Sehnsüchtig betrachtete sie die Wand, dann ihren Haushofmeister. Er wirkte leicht ungeduldig. Nun gut, die Gobelins konnten warten. Wahrscheinlich war es kurz vor der Teestunde, und Genevieve hatte den Eindruck, Worthington könnte es in puncto Tischzeiten peinlich genau nehmen. Gehorsam folgte sie ihm die Stufen hinauf.
    Eine Wendeltreppe, genau wie es sie ihrer Vorstellung nach auch in Camelot gegeben hatte. Während sie Worthington folgte, ließ sie ihre Finger über den kalten Stein gleiten. Die Treppe mündete in einen langen Korridor. Lampen in Form von Fackeln erhellten das Dunkel. Sie konnte das ungläubige Lächeln nicht aus ihrem Gesicht verbannen. Mit ein bisschen Phantasie könnte sie sich tatsächlich einreden, die Herrin dieser Burg zu sein, die Nachmittage mit ihren Zofen nähend in ihrer Kemenate zu verbringen und darauf zu warten, dass ihr Ehemann und Recke von seinen Abenteuern zurückkehrte und sie mit schwer erkämpfter Kriegsbeute überhäufte.
    »Ihr Gemach, Mylady«, verkündete Worthington, stellte ihre Taschen vor einer Tür ab und drehte den Knauf.
    Genevieve ging an ihm vorbei und warf einen Blick hinein. Dann schnappte sie nach Luft. Das war der hässlichste Raum, den sie je gesehen hatte. Er war vom Boden bis an die Decke im Louis-quatorze-Stil eingerichtet, sogar ein vergoldeter Vogelkäfig stand in einer Ecke. Der Teppich war rosa, passend zu den rosa Stühlen, dem rosa Bettzeug und der rosa Tapete. Ihr war, als hätte sie gerade zu viel Zuckerwatte gegessen.
    Sie trat einen Schritt zurück
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