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Das Erbe des Zitronenkraemers

Das Erbe des Zitronenkraemers

Titel: Das Erbe des Zitronenkraemers
Autoren: Charlotte Bonerz , Johanna Kirchen
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wie ihre selbst gemachten Käseklöße im Salzwasser vor zwei Stunden.
    Anne riss die Tür auf und wollte gerade lospoltern, als … „Das ist ja nun jetzt die Höhe! Paula!“, rief Anne aus. Sie liebte Hannes‘ Jagdhündin über alles. Der Hund konnte ja auch nichts dafür. Fassungslos über so viel Unverfrorenheit starrte Anne den braunen Matschpfoten nach, die eine Spur über ihren weißen Teppich bis zum hellbeigen Ledersofa zogen, auf welchem die als Lehmskulptur getarnte Paula sich nun genüsslich hin und her wälzte.
    „Sag mal, bist du von allen guten Geistern verlassen?“ Anne stockte, als sie in Hannes‘ Gesicht blickte. Er stand da in matschbespritzten Stiefeln und Jagdklamotten. Sein geliebter Hut auf dem Kopf tropfte den Regen der letzten Stunden in ihren Wohnungsflur.
    Sein Gesicht weiß wie die Haut der Entenbrust vor ihrem Aufenthalt im Backofen.
    „Anne“, platzte er heraus, „stell dir vor: Martin Krischel ist tot! Erschossen bei der Treibjagd.“
    Hannes schluckte laut. Er blieb immer noch bewegungslos im Türeingang stehen.
    „Ich dachte, all diese Albträume wären vorbei.“ Er schien ihr nicht in die Augen blicken zu können. Reglos fixierte er nur den Fußboden.
     

Kapitel 2
     
    Andreas Steinmetz ließ sich den Arm einreiben. Claire war behutsam. Claire sprach kein Wort. Er konnte ihre feuchten Augen sehen.
    Sie war so tapfer.
    Er war es nicht.
    Sie lächelte.
    Andreas brachte es nicht fertig.
    Er konnte nicht umhin. Er musste einfach daran riechen. Derselbe Fischgestank. Die gleiche Salbe, mit der er ihn eingerieben hatte. Damals war seine Hand noch dran gewesen. Ein paar lächerliche Schürfwunden von den Handschellen, weil er seine Hände nicht hatte ruhig halten können. Sie nicht aus dem Dreck raushalten konnte, so wie er es ihm befohlen hatte. Ebenso sanft wie Claire hatte der Mann ihn damals behandelt. Diese Gedanken kamen unwillkürlich in ihm hoch.
    Er roch erneut und würgte.
    „Das ist Lebertran”, sagte Claire. „Damit wird die Narbe geschmeidig.”
    Sie sprach mit ihm wie mit einem Kind.
    Er sprang auf. Er hatte das Gefühl, sich übergeben zu müssen. Nicht wegen des Lebertrans. Wegen des Stumpfes.
    Andreas konnte den Anblick seines Arms nicht ertragen.
    Ein Stumpf.
    Eine rote, raue Narbe über den zusammengeschlagenen Hautlappen. Keine Hand. Keine Finger.
    Aber er spürte sie dennoch. Jeden einzelnen Finger. Schmerzen.
    Phantomschmerzen nannte es der Arzt. Der Körper hatte ein anderes Gefühl von sich selbst. Der Körper verlangte nach der Hand. Er schrie nach den Fingern, die nicht mehr da waren. Die Nerven rebellierten und schlugen Alarm: „Mann über Bord”.
    Andreas wurde schwindelig. Jetzt war er wieder in der Höhle, sah die Geflügelschere. Er roch das Desinfektionsmittel und sah den Mann in der Klinsmann-Maske. Anton Schönemann, wie er nun wusste.
    Für ihn immer noch der Bundestrainer. So hatte er ihn damals genannt.
    Das Desinfektionsmittel hatte versagt. Seine Wunde war zu einem Festessen für Milliarden Bakterien geworden. Seine Hand war aufgefressen. Weg. Sie existierte nicht mehr.
    „Morgen haben wir einen Termin“, versuchte Claire ihn von seinen Gedanken abzulenken. „Bei diesem orthopädischen Fachhändler. Dann wird endlich deine Prothese angepasst. Deine Prothese … du erinnerst dich?”
    Claire wirkte so hilflos, so verletzlich auf ihn.
    Aber spürt sie meinen Schmerz?, fragte er sich. Mein Leid?
    Prothese. Dieses Wort hallte in seinem Kopf nach. Bin ich Captain Ahab? Habe ich einen Moby Dick, den ich jagen und an dem ich mich rächen kann?
    „Ich habe eine myoelektrische Prothese der neuesten Generation bestellt. Du wirst üben müssen. Die Muskeltätigkeit deines … deines … Stumpfes wird über eine wiederaufladbare Batterie in die Mechanik der Prothese übertragen. Du wirst sogar jeden einzelnen Finger bewegen können. Ist das nicht toll?“
    Toll.
    Wie soll Claire wissen, wie ich mich fühle? Wie kann Claire ahnen, wie es ist, ein Krüppel zu sein.
    „Ich weiß, was du durchmachst!”
    Pah! Dummes Geschwätz. Gar nichts weißt du, schrie es in ihm.
    „Hilf mir in meine Jacke”, befahl Andreas. Claire gehorchte. Tränen füllten ihre Augen.
    „Was weißt du schon?“, schleuderte er ihr entgegen, der Claire, die so schön und perfekt und heil und ganz wie eh und je war.
    „Zieh mir den Handschuh über das Ding!”
    Claire tat es. Sie rutschte ab. Der Stumpf war glitschig von der ekelhaften Salbe.
    „Wo gehst du hin?”,
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