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Das Erbe des Bösen

Das Erbe des Bösen

Titel: Das Erbe des Bösen
Autoren: dtv
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des Grundstücks hinauf, zu dem Holzhaufen, der mit vereinten Kräften dort bereits gewachsen war. Katja stammte von einem Bauernhof. Sie war bei ihnen diejenige, die sich um die praktischen Dinge kümmerte. Erik zog das Handy aus der Tasche. Er hatte es während des Urlaubs zu oft in Gebrauch gehabt. Trotzdem spürte er ein angenehmes Kribbeln, als er jetzt im Speicher nach der Nummer des China-Repräsentanten von Gendo suchte.
     
    Rolf war angespannt und durcheinanderr. Er saß auf der Rückbank eines Taxis, das von einem älteren Türken durch Wilmersdorf gesteuert wurde. Rolfs linke Hand zitterte ein wenig, und als er in Dahlem das Taxi bestiegen hatte, war ihm wieder leicht schwindlig gewesen. Er versuchte sich zu beruhigen, indem er sich auf den lebhafter werdenden morgendlichen Verkehr konzentrierte.
    Die Stadt kam ihm fremd vor, die meisten Gebäude waren erst auf den Kriegsruinen entstanden. Und so schaute Rolf mit ganz neuen Augen auf Berlin, ähnlich wie bei seinem ersten Besuch 1937, und dabei verspürte er eine Wehmut, die ihm einen tiefen Stich versetzte. Jene Zeit lag einerseits in weiter Ferne, als gehörte sie zum Leben eines anderen Menschen, andererseits hatten die Erinnerungsbilder geradezu schmerzhaft scharfe Konturen. Vor seinem inneren Auge flimmerte die Ostsee rings um die
S.   S.   Ariadne
auf ihrem Weg nach Stettin. Er stand an Deck, warmer Wind streichelte seine Haut, und er war voller Erwartung und Tatendrang. Er befand sich auf der Reise ins Land seiner Träume, ins Mekka der Wissenschaft und der Technik. Wilhelm Konrad Röntgen, Max Planck, Fritz Haber, Werner Heisenberg . . . In den ersten beiden Jahrzehnten des 20.   Jahrhunderts |16| waren über die Hälfte der naturwissenschaftlichen und medizinischen Nobelpreise an deutsche Wissenschaftler gegangen. Und die größte Macht hatte Deutschland auf dem Gebiet der Physik, insbesondere der neuen Physik, der Quantenmechanik und der Kernphysik.
    Möglichst bald nach seiner Ankunft in Berlin wollte Rolf dem von Walter Villiger entworfenen Zeiss-Planetarium einen Besuch abstatten, wo man für jeden gewünschten Breitengrad die Umlaufbahnen der Planeten darstellen konnte. Denn mehr als an der Physik war Rolf an der Astronomie interessiert, obwohl er beschlossen hatte, den Rat seines Vaters zu befolgen: besser als Hauptfach Physik studieren, damit seien die Berufsaussichten wesentlich günstiger als im Bereich der Astronomie. Sein Vater musste wissen, wovon er sprach, denn er war Dozent für Mathematik an der Universität Helsinki.
    Rolf fuhr aus seinen Gedanken auf, als das Taxi in einer ruhigen Nebenstraße in Charlottenburg zum Stehen kam.
    Niebuhrstraße 35.   Die Adresse, die Katharina ihm gegeben hatte.
    Große Laubbäume beschatteten die Straße, es herrschte eine fast geisterhafte Atmosphäre der Erstarrung.
    Rolf zahlte und stieg mühsam aus dem Taxi. Auf dem Gehweg betrachtete er das kunstvolle, massive Haus, holte tief Luft und ging langsam auf die mit Schnitzereien versehene Eichentür zu. Die Namensschilder am Klingelbrett waren teilweise stilvoll gedruckt, andere waren eilig bekritzelte Pappstücke oder Klebestreifen.
    KATHARINA KLEVE stand auf dem Schild der Wohnung mit der Nummer 18.   Fünfter Stock.
    Rolf zögerte einen Moment, bevor er mit zittrigem Finger den Klingelknopf drückte. Das elektrische Schloss surrte, und er öffnete die schwere Tür. Im halbdunklen Treppenhaus war eine Reihe Briefkästen angebracht. An ihnen vorbei ging es zu einem alten Lift mit Gittertürr. Er sah fast so aus wie in dem Haus im Helsinkier Stadtteil Katajanokka, in dem Rolf wohnte – und so |17| wie in dem Haus, in dem er Anfang der Vierzigerjahre zum ersten Mal mit Ingrid zusammengewohnt hatte.
    Heftig ruckelnd bewegte sich der Aufzug nach oben. Dabei kam Rolf ein seltsamer Gedanke. Katharina hatte unter einer solchen Höhenangst gelitten, dass sie unbedingt im Erdgeschoss wohnen wollte, als sie seinerzeit mit Ingrid eine Studentenwohnung in Dahlem suchte. Und wenn sie die physikalische Fakultät besuchte, weigerte sie sich, den »Turm der Blitze« zu betreten. Rolf fragte sich, ob es möglich war, dass ein Mensch im hohen Alter seine Phobien verlieren konnte. Langsam setzte der Lift seine Fahrt nach oben fort. Rolf korrigierte den Sitz seines digitalen Hörgeräts, betrachtete sich selbst im dunkel-fleckigen Spiegel und kämmte sich das spärliche Haar. Was für einen Schrecken würde es Katharina einjagen, wenn sie einen Greis vor sich
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