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Das Erbe des Bösen

Das Erbe des Bösen

Titel: Das Erbe des Bösen
Autoren: dtv
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einige Minuten, dann betrat ein Mann das Zimmer, der fast so alt war wie Katharina.
    »Entfernen Sie das Mikrofon«, sagte Katharina.
    »Es gibt kein Mikrofon.«
    »Treiben Sie keine Spielchen mit mir, Baryschnikow. Schaffen Sie es fort. Es ist vorbei.«
    Der Mann schnaubte demonstrativ und ging zu dem dreieckigen Tisch in der Zimmerecke. Er nahm die Porzellanuhr, zwischen deren Verzierungen sich eine kleine Öffnung befand, in beide Hände und verließ den Raum. Vielsagend schlug er die Tür hinter sich zu.
    Dann rief Katharina Andrei zu sich.
    »Hast du es ihm gesagt?«, fragte sie ihren Sohn.
    »Ja.«
    »Gut. Das Familienerbe ist etwas Wichtiges.«
    »Mutter, ich muss jetzt gehen. Anna wartet.«
    »Geh nur«, sagte Katharina und schloss beruhigt die Augen.

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    In die Fenster des obersten Stockwerks im Hauptquartier des russischen Militärgeheimdienstes GRU am Rande des alten Flughafens Chodinka schien die Morgensonne.
    Auf dem blank polierten Mahagonitisch stand ein Kassettenrecorder. Mit exakten Bewegungen legte der Major eine Kassette ein.
    »Soll ich zum Anfang zurückspulen?«, fragte er Oberst Woronin, der ihm auf der anderen Seite des Tisches gegenübersaß.
    »Nein. Gehen wir davon aus, dass Erik Narva sie bis zu dieser Stelle hier gehört hat.«
    Der Oberst lehnte sich zurück und lauschte mit großem Interesse der Kassette, die ein Kurier von London nach Moskau gebracht hatte.
    Der Oberst hatte von der Existenz der Kassette erst eine Woche zuvor erfahren, durch die Mitteilung eines pensionierten Beamten namens Baryschnikow, der beim GRU einst auf Flugkörpertechnik spezialisiert gewesen war. In den Jahren des Kalten Kriegs war Baryschnikow mit Spionageaufträgen in den Vereinigten Staaten betraut gewesen, und wenige Wochen zuvor hatte er einen Anruf von einer seiner damaligen Agentinnen erhalten, von Katharina Kleve, die in einem Berliner Pflegeheim ihren Lebensabend verbrachte. Nach ihrer Pensionierung war die Frau von Moskau in ihre Ostberliner Heimat zurückgekehrt. Ihr Sohn arbeitete aufgrund seiner Finnischkenntnisse im Helsinkier Büro des GRU.   Hin und wieder hatte Frau Kleve über die Jahre hinweg Kontakt zu Baryschnikow gehabt.
    |509| Diesmal hatte sie ihm mitgeteilt, überraschend Besuch bekommen zu haben – von einem Amerikaner, der sich bei ihr nach ihrem Exmann Hans Plögger und nach Rolf Narva erkundigt hatte. Besonders interessierte ihn offenbar, ob die beiden in den letzten Kriegstagen eine gewisse Menge angereichertes Uran versteckt haben.
    Katharina Kleve hatte es für das Klügste gehalten, dem Amerikaner gegenüber die verwirrte, nur noch in ihren Erinnerungen lebende Greisin vorzuspielen, denn sie wollte niemandem etwas verraten, am allerwenigsten einem Amerikaner. Bald darauf hatte sie einen noch überraschenderen Besucher gehabt: Rolf Narva, den sie in den Fünfzigerjahren als Spion angeworben hatte. Auch ihm gegenüber gab sie sich verwirrt, denn sie vermutete, die beiden Besuche könnten miteinander zu tun haben.
    Der Major drückte auf die PLA Y-Taste und drehte die Lautstärke höher. Der Mann auf der Kassette sprach englisch.
     
    »Ich hoffe nur, dass du, Erik, der Menschheit durch deine Arbeit etwas Gutes tun kannst. Im Gegensatz zu deinen Eltern. Und dass du dir stets der Verantwortung des Wissenschaftlers bewusst bleibst. Ein Wissenschaftler darf niemals die Augen vor der Menschheit verschließen, in der er wirkt, auch wenn er noch so sehr nach objektiver Wahrheit strebt. Ich weiß, du wirst erschüttert und enttäuscht sein, wenn du dies alles hörst. Aber ich hoffe inständig, dass du mir eines Tages verzeihen kannst.«
     
    Der Oberst wünschte, der Alte würde endlich mit dem Geschwätz aufhören und zur Sache kommen.
     
    »Zum Schluss möchte ich noch einmal auf das zurückkommen, was ich meinte, als ich von der Erbärmlichkeit der Großmächte sprach. Als ich im Frühjahr 1956 meine Verbindung zu Katharina und den Russen abbrach, glaubte ich, Katharina nie mehr zu begegnen. Sie war verbittert und
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enttäuscht. Ich hatte Angst, entdeckt zu werden, aber alles ging weiter wie zuvor.
    Besonders nachdem du auf die Welt gekommen warst, konzentrierte ich mich mit neuer Tatkraft auf meine Arbeit. Die ersten Schritte der Russen zur Eroberung des Weltraums waren überzeugend gewesen und hatten das Weiße Haus in Panik versetzt. Dann, am 25.   Mai 1961, proklamierte Kennedy unser Ziel: den Menschen auf den Mond zu bringen. Von Braun und wir alle durften endlich
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