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Das Erbe der Vryhh

Das Erbe der Vryhh

Titel: Das Erbe der Vryhh
Autoren: Jo Clayton
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Hügelgräber und die Unterstände geschaffen hatten, damit andere sich auf die Wanderschaft begeben konnten, um die Einheit mit dem Weltengeist zu suchen, die nur von körperlicher und geistiger Erschöpfung bewirkt werden konnte, vom Überwinden der Barrieren zwischen Leib und Seele. Einige kamen hierher, weil sie von Stolz und Furcht und Scham angetrieben wurden. Von jenen Leuten starben die meisten, und die Überlebenden kehrten leer zurück, der Stolz befriedigt, Scham und Furcht besiegt. Vorübergehend. Mehr nicht. Andere Wolff-laner entdeckten ihr Zentrum und machten sich ausgefüllt und verändert auf den Rückweg in die Zivilisation. Nur wenige - aber genug, um den Wilden Pfad zu erhalten, um zu verhindern, daß die Wanderschaft zu einem inhaltslosen Spiel wurde, über dessen Regeln man sich nach Belieben hinwegsetzen konnte, wenn es einem darauf ankam, um jeden Preis zu gewinnen. Nach tausend Jahren gehörte der Wilde Pfad zum Wesen der Wolfflaner, zur Mythologie dieses strengen und sturen Volkes. Es schien allein infolge eines Instinktes zu wissen, daß ihm der sichere Untergang drohte, wenn es die Wanderschaft durch die Wildnis aufgab. Wie die Unsterblichen von Ibex, dachte Aleytys. Und sie fragte sich, ob jene schwachen und eigentlich bedauernswerten Geschöpfe ihr Blut und ihre Körperzellen benutzt hatten, um sich aus den Maschinen zu befreien. Sie überlegte, ob Kenton Esgard inzwischen vielleicht bedauerte, was er sich selbst angetan hatte. Ob es Hana gelungen war, Einsicht in die Vryhh-Daten zu bekommen und die Geschäfte ihres Vaters zu kontrollieren.
    Doch dabei handelte es sich nur um gedankliche Streiflichter, um Phantome im Nebel, Ablenkungen von seelischen Wunden und körperlichen Schmerzen, von einem Zorn, der so umfassend war, daß er keinen Fokus hatte, besser gesagt: viele. Kell. Grey. Ihre eigenen Dummheiten. Haupt. Die Jagd-Gesellschaft. Hars-kari.
    Shadith. Shareem. Hagan. Aleytys konzentrierte ihre Wut auf die einzelnen Personen, auf sie alle zusammen, verdammte sie für das, was sie waren, was ihr eigenes Wesen ausmachte, verfluchte sie für ihre Machtlosigkeit. Es gab keine Möglichkeit, die Vergangenheit zu ändern. Man konnte immer wieder an das denken, was geschehen war, was sowohl man selbst als auch andere getan hatten …
    man mochte deutlich erkennen, welche Fehler einem unterlaufen waren, was man vielleicht hätte tun sollen, und es wäre auch möglich gewesen, sich durch eine Willensanstrengung einzureden, das alles sei nur ein Traum, ein Trugbild des Vergangenen - doch man konnte nichts an dem ändern, was bereits geschehen war, nicht wirklich. Und wenn man sich selbst anlog, sich ganz bewußt etwas vorzumachen versuchte - nun, das war ein ziemlich weit verbreiteter Wahn, eine Verrücktheit, die durchaus ihre Vorteile und guten Seiten hatte. Es gab Dinge, die zu gräßlich waren, als daß man mit ihnen leben konnte.
    Kein Feuer, um die Kälte zu verdrängen, nach dem ersten kein weiterer Unterschlupf, um dem Frost und den Silberpelzen zu entfliehen. Nach dem anstrengenden Lauf eines Tages mußte sich Aleytys eine Zeitlang der Mühe unterziehen, Steine zu sammeln und sich damit ein improvisiertes Quartier zu schaffen, um einige Stunden lang in relativer Sicherheit schlafen zu können. Der Brauch verlangte, daß sie die Steine anschließend wieder verstreute, doch Aleytys hatte die Absicht, den gleichen Weg zurückzukehren, den sie gekommen war, und sie nahm sich vor, sich dann an die Tradition zu halten.
    Das erste Hügelgrab.
    Aleytys nahm einen runden Kiesel aus dem Beutel an ihrem Gürtel, und sie hielt ihn eine Weile in der Hand. Sie fragte sich, was sie sagen sollte, zuckte dann stumm mit den Schultern, warf den kleinen Stein auf den Haufen und sprang weiter durch den Nebel.
    Und Greys Schatten lief während der langen und grauen Tage neben ihr. Keiner von beiden sprach ein Wort. Sie schwiegen, während sie durch den Dunst eilten, vorbei an schmutzigen Eisflächen.
    Sie hörten die rhythmischen Geräusche, die ihre Körper verursachten, und hörten sie nicht: das leise Stöhnen, das rasselnde Atmen, das verhaltene Knirschen und Schaben der Schneeschuhe auf einer weißgrauen Masse, die gar nicht existierte.
    Zumindest gibt es sie jetzt nicht, dachte Aleytys. Der Schnee ist geschmolzen. Greys Kind aus seinem eingefrorenen Sperma. Ein Wesen, in dem er weiterlebte, ein Teil von ihm. Nein. Noch nicht.
    Wenn er noch lebte, wenn er noch dazu in der Lage war, die Freuden und
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