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Das Erbe der Vryhh

Das Erbe der Vryhh

Titel: Das Erbe der Vryhh
Autoren: Jo Clayton
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Küche.
    »Die Silberpelze kommen jetzt hungrig und abgemagert aus ihren Winterhorten hervor.«
    »Nett.« Shadith kicherte, als sie den Ausdruck in Canylis Gesicht sah. »Ein wenig Bewegung und Abhärtung schaden gewiß nicht.«
    Schweigend schritten sie durch den Flur. Die Decke war recht hoch.
    An den Wänden zeigte sich eine Vertäfelung aus verzierten Eiksjo-Platten, und außerdem waren sie mit Tapisserien von vielen Planeten geschmückt. Die Stiefel Haupts und Shadiths klackten in einem Doppelrhythmus über den komplex gemusterten Parkettboden. Als sie die Treppe erreichten, die zur Küche hinabführte, sagte Shadith:
    »Mach dir keine Sorgen: Aley-tys sucht nicht etwa den Tod. Ich habe ihr bei anderen solchen Gelegenheiten Gesellschaft geleistet.
    Sie geht, um sich von innerem Ballast zu befreien, um wieder zu sich selbst zu finden.« Ein Seufzen, gefolgt von einem kurzen Lachen. »Ich wünschte, ich könnte sie begleiten.«
    »Warum tust du das nicht?«
    »Nein. Nicht diesmal.«
    Haupt schwieg, setzte sich in Bewegung und trat die ersten Stufen herunter. Sie blickte sich dabei mehrmals nachdenklich zu Shadith um, und ihr eigenes Zögern amüsierte sie. Schließlich fragte Haupt: »Wie fühlt es sich an, wenn man nach so langer Zeit wieder frei ist? Wenn ich dich ansehe, äonenaltes Kind, läuft es mir irgendwie kalt über den Rücken.« Sie schüttelte den Kopf und kicherte kurz. »Es ist seltsam: Einerseits spüre ich das Bestreben, dich wie eine Mutter zu schützen, und andererseits erschreckt mich diese Vorstellung.«
    »Himmel - das ist auch ganz richtig so!«
    »In gewisser Weise warst du unsterblich. Jetzt könntest du ganz plötzlich ums Leben kommen.«
    »Eine kurze Existenz, aber eine, die man genießen kann.« Shadith schnüffelte. »Hah, das riecht gut.« Sie grinste Haupt fröhlich an, sprang die letzten Stufen herunter und lief in die Küche.
    Die Wildnis.
    Nebel und Kälte und Beschwernis.
    Der Dunst war dichter, als Aleytys ihn in Erinnerung hatte. Er ließ die Konturen ihrer Umgebung verschwimmen, so daß sie den Boden nicht deutlich sehen konnte und nie genau wußte, wohin sie ihren Fuß setzte. Er hätte ihr sicher auch die Orientierung geraubt, wäre nicht der innere Kompaß gewesen, der ihr die Richtung wies.
    Sie wanderte durch Schlamm und Matsch, über einen Boden, der an einigen Stellen noch immer gefroren war, vorbei an Ansammlungen ausgedörrter und wie geisterhaft wirkender Gräser. Sie zwang sich dazu weiterzugehen, immer weiter, bis sie so erschöpft war, daß sie sich kaum mehr von der Stelle rühren konnte. Sie lief, bis die Sonne unterging und die Dunkelheit die von verstohlenen Bewegungen im Unterholz verursachten Geräusche lauter werden ließ. Und sie schlief in der Art von einfachem Unterstand, wie ihn die Wolfflaner für die erste Nacht einer Wanderschaft während dieser Jahreszeit benutzten.
    Am nächsten Morgen sah sich Aleytys nicht nur mit dem dumpfen Schmerz und der steifen Ungelenkigkeit ihres überlasteten Körpers konfrontiert, sondern auch mit der Unwegsamkeit des Terrains und einer schneidenden Kälte. Sie versuchte, sich zu entspannen, die Umwelt einfach als das zu akzeptieren, was sie war, sich ihr anzupassen, zu einem Bestandteil von ihr zu werden, und sie wußte, daß diese Aufgabe sie jeden Morgen erwartete, nach jeder Nacht, deren aus Furcht, Wut und Kummer bestehenden Träume die Einheit aus Umgebung und Selbst zerrissen. Doch im Verlauf der Zeit, als die Tage verstrichen und die Welt jenseits der Wildnis sich auf eine vage Erinnerung reduzierte, verschmolzen Helligkeit und Finsternis miteinander.
    Eine Weile wurde Aleytys von den Empfindungen ihres Körpers und den Reminiszenzen abgelenkt, und das hinderte sie daran, das gesuchte innere Zentrum zu finden. Greys Geist lief neben ihr durch den Nebel, begleitet von den gestaltgewordenen Erinnerungen an eine Zeit, in der sie hierhergekommen war, um sich von einem anderen Traum zu trennen - dem, Anspruch auf ihren Sohn zu erheben. Diesmal war sie mit einem Traum nach Wolff gekommen, der noch mehr für sie bedeutete, einem Traum, der sich vielleicht als ebenso illusorisch herausstellte.
    Am vierten Tag folgte ihr ein Rudel Silberpelze, schmale Schatten im sich niemals verflüchtigenden Dunst, Schemen, die sie von einem kalten Lager zum anderen jagten. In der steinigen Öde gab es kaum Holz, das man für ein Feuer sammeln konnte. Das meiste davon war von den Männern und Frauen eingesammelt worden, die die
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