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Das Erbe der Pilgerin

Das Erbe der Pilgerin

Titel: Das Erbe der Pilgerin
Autoren: Ricarda Jordan
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erreichten, dort in einem Funduk Wohnung nahmen und schließlich getrennt voneinander die Bäder besuchten. Abram zahlte ein kleines Vermögen für abgeschiedene Räume in der Herberge, aber Miriam bestand darauf, sich in Ruhe auf die Audienz beim Emir vorbereiten zu können.
    »Vielleicht lässt er ja nur dich hinrichten«, neckte sie ihren Mann, »und nimmt mich in seinen Harem.«
    »Das ist nicht komisch«, murmelte Abram.
    Je näher die Audienz rückte, desto stärker kehrten seine Ängste zurück. Er wusste nicht, was an den kleinen Unregelmäßigkeiten wirklich strafbar war, mit denen er seinen Geschäftsalltag würzte, aber langsam bereute er zumindest den Handel mit islamischen Reliquien. Sicher focht es den Emir nicht an, wenn er Christen übers Ohr haute. Aber die Haare des heiligen Pferdes Barak, die in Wirklichkeit aus der Mähne von Miriams Maultier Sirene stammten …
    »Komm, Abram, er wird uns schon nichts tun«, versuchte Miriam ihn zu beruhigen. Sie sah betörend schön aus, nun, da sie die schlichten Reisekleider gegen weite, mit Goldfäden durchwirkte Seidenhosen und ein passendes langes Obergewand in hellerem Grün eingetauscht hatte. In ihr dunkelblondes langes Haar hatte sie Perlenfäden geflochten, aber natürlich wurde die Pracht nur schemenhaft sichtbar unter ihrem Schleier. Das feine Gespinst verbarg auch ihr Gesicht und ließ die Klarheit ihrer Züge und ihren honigfarbenen Teint nur erahnen. Lediglich ihre Augen würde der Emir in voller Schönheit bewundern können, weshalb Miriam sie sorgfältig geschminkt hatte – ein Kajalstrich betonte ihre leicht schräge Stellung und ihr warmes Leuchten. »Wenn er dich wegen Betrugs verhaften lassen wollte und mich wegen irgendetwas anderem, konnte er einfach die Stadtwache schicken. Dann hätte man uns in Ketten nach Granada gebracht. Warte ab, so schlimm kann es gar nicht kommen. Was machst du übrigens, wenn er mich wirklich kaufen will?«
    Miriam tat es fast leid, den grauen Reiseumhang wieder über ihren kostbaren Staat ziehen zu müssen, aber bis zum Albaicen, einem Hügel, auf dem der Palast des Emirs thronte, waren es noch einige Meilen zu reiten. Die Funduks, traditionelle arabische Unterkünfte für Handelsherren, lagen meist außerhalb der Stadt oder zumindest in Vororten, so passierten Miriam und Abram die Sukhs von Granada. Und wäre da nicht die Beklommenheit vor ihrem Auftritt gewesen, hätten sie sich an der Vielfalt der angebotenen Waren, dem Duft der Gewürze und den Farben der Stoffe und Keramikwaren berauschen können. So aber versuchten sie nur, den Weg rasch hinter sich zu bringen.
    In Granada fanden sie sich dann allerdings in einer Schlange von anderen Bittstellern und Besuchern wieder, die auf eine Audienz beim Emir warteten. Offensichtlich hielt der Herrscher an diesem Tag Gericht, und das in aller Öffentlichkeit. Ein Diener hieß Abram und Miriam in den hinteren Reihen des bevölkerten Audienzsaals Platz nehmen. Wie die meisten maurischen Häuser war auch dies kaum möbliert. Es lagen nur Teppiche auf dem Boden, und die Ratgeber des Emirs saßen ihm zu Füßen auf weichen Kissen. Der Emir selbst thronte auf einem erhöhten, mit Kissen gepolsterten Podest, vor dem die Bittsteller sich zu seiner Huldigung niederwarfen.
    Miriam und Abram warteten mit zunehmender Nervosität ab, bis er alle Besucher und Gesandte anderer Emirate willkommen geheißen, Streitigkeiten um Land und Vieh geschlichtet und strenge Verwarnungen an aufmüpfige Untertanen ausgesprochen hatte, die sich irgendwelcher Unregelmäßigkeiten schuldig gemacht hatten. Offensichtlich konnte jeder, der sich ungerecht behandelt fühlte, vor dem Emir Klage führen. Abram wurde immer mulmiger zumute – es war nicht unwahrscheinlich, dass gleich mehrere Beschwerden gegen ihn vorlagen. Miriam dagegen beruhigte sich zusehends. Bislang hatte der Emir keine wirklich schweren Delikte verhandelt und keine nennenswerten Strafen verhängt. Es war, wie sie sich schon gedacht hatte: Echte Verbrechen kamen vor den Kadi – der Emir bewies nur Wohlwollen, Weisheit und Volksnähe, indem er jeden Bürger empfing und ernst nahm, der um Rat und Hilfe nachsuchte.
    Abram und Miriam waren dann die Letzten, die der Zeremonienmeister heranwinkte. Beide warfen sich dem Emir zu Füßen, wie sie es vorher gesehen hatten. Abram lag eine Begrüßungsrede auf der Zunge. Er hatte lange darüber nachgedacht, wie er dem Emir schmeicheln konnte, aber dann schwieg er doch, wie es ihm geheißen
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