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Das entschwundene Land

Das entschwundene Land

Titel: Das entschwundene Land
Autoren: Astrid Lindgren
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Pastoren dazumal zugebilligt wurden. Die Stuben waren niedrig und dunkel, aber Liebe und Friede weilten darinnen, und die frohen Gesichter vier glücklicher Kinder vermögen es gewiß, Sonnenschein in dunklere Kammern als diese zu bringen.«
    Diese Schilderung stammt von einem, der lange vor Samuel August Anfang des 19. Jahrhunderts auf dem Pfarrhof Näs gelebt hat. Das Haus, von dem hier die Rede ist, wurde etwa ein Jahrhundert später die Pächterwohnung, und dorthin holte Samuel August von Sevedstorp, als die Zeit dafür gekommen war, Hanna in Hult – auf daß die frohen Gesichter vier glücklicher Kinder so nach und nach neuen Sonnenschein in das alte rotgetünchte Wohnhaus brachten, in dem auch fortan Liebe und Friede weilten.
    Noch aber war es nicht soweit. Noch schrieb man erst 1895, und Samuel August war zwanzig Jahre alt. Das Mädchen mit den Stirnfransen, dachte er noch an sie? Ein wenig mochte ihr Bild wohl verblaßt sein, so selten, wie er sie während der letzten Jahre zu sehen bekommen hatte, und jetzt wohnten sie sogar in verschiedenen Kirchspielen, was der Liebe ja nicht gerade förderlich sein konnte. Doch zum Glück war es noch immer so, daß der Pfarrer von Vimmerby hin und wieder auch in Pelarne zu predigen hatte, und zu den Pflichten des Pächters gehörte es, ihn dorthin zu kutschieren. Gewöhnlich mußte dies der mittlere Sohn des Pächters, Samuel August, tun, und somit ergab es sich zwangsläufig, daß er Hanna in Hult ab und zu wiedersah und vielleicht auch ein paar Worte mit ihr wechselte. Und mehr war auch nicht nötig – »ich einzig dich auf Erden seh« – , nun stimmte es fü r Zeit und Ewigkeit.
    Meistens mußte er sich freilich damit begnügen, sie in seinen Träumen zu sehen, in der Wirklichkeit geschah es nur selten und zufällig . Einmal entdeckte er sie auf einer Buchversteigerung in Pelarne. Dort f ü hrte sie das Protokoll über die Zuschläge, denn sie hatte einen klaren Verstand und eine ungewöhnlich schöne Handschrift. Im Auktionssaal war es heiß, und hinterher trat sie mit glühenden Wangen vor die Tür, um sich abzukühlen. »Gott steh mir bei, was war sie schmuck«, sagte Samuel August später, wenn er an die Liebesqualen seiner Jugend zurückdachte. Qualvoll war f ü r ihn auch die Erinnerung an ein Sommerfest auf der Wiese in Hultsfred, wo er sie im handgewebten blauen Kleid heranspazieren sah. Jetzt wäre die Gelegenheit günstig gewesen, aber sie zog ja »'nen ganzen Rattenschwanz von Burschen hinter sich her«, so daß Samuel August sich nicht einmal in ihre Nähe traute. »Da wurd ich so g o ttsjämmerlich traurig, daß ich nichts wollte als heim.«
    Inzwischen war Samuel August 25 Jahre alt geworden und im Heiratsalter. Aber Hoffnung auf Hanna in Hult machte er sich nicht. Nicht in seinen kühnsten Träumen wagte er zu glaub en, daß so eine wie sie etwas fü r einen gewöhnlichen Samuel August wie ihn übrig haben könne. Und deshalb ließ er sich auch niemals anmerken, wie es um ihn stand, nur wurde er »so g o ttsjämmerlich traurig«, wenn er sie sah.
    Sonst hätte Samuel August schon in den Ehe stand treten können, wenn ihm danach zumute gewesen wäre. Es gab genug rührige alte Weiber, die gern den »Brautwerber« spielten und das Ihre dazu taten, um das junge Volk in den Ehehafen zu bugsieren. So eine Alte hatte es sich in den Kopf gesetzt, Samuel August mit einem geradezu unnatürlich reichen und heiratslustigen Mädchen aus einem etwas entfernteren Kirchspiel zu verheiraten. Es sei ein wahrer Goldfisch, und Samuel August müsse einfach mal hinfahren und sie sich anschauen, meinte sie. Fünfzigtausend Kronen kriege sie als Mitgift, hieß es. Ja, Samuel August mußte der Alten recht geben, dieses Mädchen sollte man vielleicht doch einmal in Augenschein nehmen. So bestieg er eines Sonntags keck den Zug, der ihn zu de r unbekannten Heiratslustigen fü hrte. Aber schon am selben Abend kehrte er nach Näs zurück. Nun konnte keiner die Fünfzigtausend besser brauchen als ein armer Bauernbursche, der nur zu gern einen eigenen Hof gehabt hätte – derartige Angelegenheiten pflegte man ja auf dem Lande durch eine passende Einheirat zu regeln – , und er wanderte grübelnd durch die lange Pfarrhofsallee heimwärts. Was ihm damals durch den Kopf ging, hat er selber erzählt.
    »Als ich zur Allee kam, weiß ich noch, daß ich gedacht hab: › Fünfzigtausend kämen mir schon zu paß ... aber ich tät sie auch fü r fünfundzwanzigtausend nehmen, wenn sie
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