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Das Engelsgrab

Das Engelsgrab

Titel: Das Engelsgrab
Autoren: Jason Dark
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jetzt nach rechts, um aus dem Bett steigen zu können. Es sah aus, als würde er von einem unsichtbaren Lenker geführt, denn zielsicher glitten die nackten Füße in die Turnschuhe hinein.
    Der Oberkörper des Jungen war nackt. Als Schlafkleidung trug er nur eine kurze Turnhose, die über den Knien endete. Sein blondes Haar war struppig, doch darum kümmerte er sich nicht. Mit noch immer geschlossenen Augen drückte er sich in die Höhe und blieb wie nachdenklich vor seinem Bett stehen, mit geschlossenen Augen in das Zimmer ›schauend‹. Er sah tatsächlich aus wie jemand, der seine Blicke über das Spielzeug und die übrigen Einrichtungsgegenstände gleiten ließ. Wie bei einem Abschied für immer.
    Toby seufzte im Schlaf. Für einen Moment rann ein eisiger Schauer über seinen Körper und zeichnete sich auch deutlich ab. Irgend etwas schien ihn zu beschäftigen und nicht mehr loszulassen. Noch drehte er dem Fenster und damit dem Mond den Rücken zu, aber nicht mehr lange. Da drehte sich Toby gemächlich um und setzte sein rechtes Bein vor, um sein neues Ziel anzusteuern. Es war die Dachgaube und damit das Fenster!
    Er kannte den Weg. Er war ihn im Wachzustand gegangen und auch in seinem jetzigen. Im Rhythmus der Vollmondperioden wiederholte er sich, und Toby konnte nichts dagegen tun. Der Mond und seine Kraft waren eben stärker, aber nie gleich, denn es gab auch Vollmondnächte, in denen Toby durchschlief und sich um den Erdtrabanten nicht kümmerte.
    In dieser Nacht war es anders. Da erwischte ihn die Kraft doppelt so stark. Jede These, die behauptete, der Mond hätte keine Kraft, wäre bei diesem Anblick zur Lächerlichkeit verurteilt worden. Er war mächtig.
    Er sorgte nicht nur für den Wechsel der Gezeiten, er hielt auch Toby Cramer unter Kontrolle.
    Der Junge setzte seinen Weg fort. Er ging so erschreckend sicher. Mit geschlossenen Augen bewegte er sich sicher an dem Stuhl vorbei, der ihn hätte hindern können. Er stieß auch nicht gegen die Tischkante oder trat auf irgendwelche Autos. Nein, Toby schritt dahin wie ein Sehender.
    Sein Gesicht zeigte dabei zwar einen starren Ausdruck, aber auf den Lippen lag ein feines Lächeln. Es dokumentierte so etwas wie Vorfreude, die der Junge empfand. Er wusste, dass er einen bestimmten Weg gehen würde, und dieser konnte von ihm nur allein zurückgelegt werden. Trotz seiner sicheren Haltung hatten die Bewegungen etwas Marionettenhaftes, möglicherweise auch etwas Vorsichtiges, als hätte ihm eine innere Stimme dazu geraten.
    Toby erreichte das Fenster. Dort blieb er stehen wie von einer Hand aufgehalten. Seine Hände legte er auf die leere Fensterbank und schaute einfach nur hinaus. Den Kopf hatte er dabei leicht nach hinten gelegt, denn er wollte sein Interesse einzig und allein auf den Mond richten.
    Der fahlgelbe Kreis war in seinem Leben sehr wichtig gewesen, und manchmal kam ihm der Mond vor wie ein großer Bruder. Nicht einmal die Lider zuckten. Nichts, aber auch gar nichts bewegte sich an ihm.
    Toby war wie erstarrt und schien das Licht zu genießen.
    Um den Mond herum stand die Dunkelheit. Es gab keine Bewegung.
    Kein Wind trieb irgendwelche Wolken vor sich her, um die Gestirne zu verdecken. Der Himmel blieb starr und bestand dabei aus einem Gemisch von dunklen Farben. Schwarz, Grau und sogar ein tiefes Blau mischten sich ineinander.
    Die Luft war warm und angefüllt mit Gerüchen und Geräuschen.
    Letztere klangen so fern, als wären sie nicht wirklich, sondern irgendwo versteckt. Da waren die Geräusche der fahrenden Autos zu hören, hin und wieder ein Musikfetzen aus dem nahen Park oder ineinander vermischte Stimmen.
    Eine Nacht wie jede andere. Still und trotzdem nicht so ruhig, wie mancher sie sich wünschte.
    Das Haus, in dem die Cramers wohnten, stand nicht allein. Im Verbund mit anderen Häusern bildete es den Teil einer Straßenzeile. In der Regel waren die Dächer gleich hoch, obwohl es schon einige Abstufungen gab. Die Höhenunterschiede konnten mit Sprüngen oder auch durch Klettern überwunden werden.
    Vor Toby lag das Dach. Noch harmlos, denn er hielt sich weiterhin in seinem Zimmer auf. Tagsüber diente das Dach den Tauben als Landeplatz. Überall auf den Ziegeln hatten sie ihren Kot verstreut, und die Flecken hoben sich unterschiedlich hell vom dunklen Untergrund ab.
    Toby stemmte sich hoch. Es wirkte überhaupt nicht gequält. Mit einer spielerisch anmutenden Leichtigkeit lösten sich die Füße vom Boden. Er winkelte das rechte Bein an,
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