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Das Ende des Dollar-Privilegs

Das Ende des Dollar-Privilegs

Titel: Das Ende des Dollar-Privilegs
Autoren: Barry Eichengreen
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1983 waren.
    Für François Mitterrand, der Giscard bei der Präsidentschaftswahl 1981 endlich besiegte, war das ein Problem. Offiziell war Mitterrand zwar Sozialist und Europäer, aber sich an Prinzipien zu halten war nicht seine Stärke. Er wurde 1916 in einem Dorf in der Nähe von Cognac geboren. Der junge François wurde bei Ausbruch des Zweiten Weltkriegs zur französischen Armee eingezogen und sofort an die Maginot-Linie geschickt, wo er von einem Schrapnell verwundet wurde und im Juni 1940 in Gefangenschaft geriet. Später erzählte er, dass er sich in der Gefangenschaft mit einem Kreis von Kommunisten angefreundet habe, die den Anstoß für seine intellektuelle Reise nach links gegeben hätten. Als es ihm beim dritten Versuch gelang, aus dem Lager auszubrechen und durch den Jura ins von der Vichy-Regierung beherrschte Südfrankreich zu gelangen, fand er jedoch eine Anstellung als Beamter in der kollaborierenden Vichy-Verwaltung. Dann schloss er sich 1943 der Résistance an, wo er Agitationen von Kriegsgefangenen gegen die Nazi-Besatzung organisierte. Auch sein späteres Leben war von solchen Widersprüchen gekennzeichnet. Die Motive des unnahbaren, verkopften Mitterrand waren selbst für seine engsten Berater schwer zu enträtseln. Als Präsident wechselte er regelmäßig die Richtung, wenn es zweckdienlich war.
    Als Mitterand 1981 beim dritten Anlauf die Präsidentschaftswahl gewann (was er gern mit dem Gelingen seines dritten Fluchtversuchs aus dem deutschen Gefangenenlager verglich), schwor er, „mit dem Kapitalismus zu brechen“. Er verstaatlichte die Banken und fünf große Industriekonzerne. Er fuhr die Sozialausgaben hoch, erhöhte den Mindestlohn und verkürzte die Wochenarbeitszeit. Die Nachfrage boomte und die Inflation stieg. Wie zu erwarten, geriet der Franc unter Druck.
    Es folgten zwei Realignments im Oktober 1981 und im Juni 1982. Aber die Realignment-Verhandlungen waren schwierig: Man musste sich ja nicht nur auf einen Kurs gegen die D-Mark einigen, sondern gegen die gesamte Gruppe europäischer Währungen. Für eine linksorientierte Regierung, die ihre wirtschaftlichen Glaubensüberzeugungen einführen wollte, war das ein peinlicher Vorgang.
    Aber während die französischen Behörden die wirtschaftliche Wiederbelebung massiv vorantrieben, floss auch nach zwei Abwertungen das Kapital weiterhin aus dem Land hinaus. Anfang 1983 hatte sich die Situation schon wieder deutlich verschlechtert. Im März spielte Mitterrand mit dem Gedanken, sich aus dem EWS zurückzuziehen, um sich weitere Peinlichkeiten zu ersparen. Das hätte ihn zwar davor bewahrt, sich auf weitere Währungsverhandlungen mit Deutschland einzulassen, aber den Franc hätte das nicht gerettet. Auch hätte es nicht verhindert, dass man Mitterrand seine Abwertungspolitik angekreidet hätte. Vielleicht hätte das nicht einmal die Fortsetzung der expansiven Politik der französischen Regierung ermöglicht, denn es hätte dem Franc die einzige echte Quelle von Glaubwürdigkeit entzogen. Diese Punkte stellte Jacques Delors klar, der Banker und Volkswirt, der unter Mitterrand Wirtschafts- und Finanzminister war. Delors’ Erfahrungen während des Krieges – seine Jugend in Südfrankreich hatte er unter der deutschen Besatzung verbracht und sein bester Freund war nach Auschwitz deportiert worden, weil er für die Résistance Nachrichten überbracht hatte – schufen bei ihm die Veranlagung, zur europäischen Integration zu neigen. Seine familiäre Herkunft förderte die Tatsache, dass er die Währungsintegration als Mittel zu diesem Zweck betrachtete. Sein Vater hatte als Bote in der Banque de France gearbeitet und der Sohn trat nach dem Zweiten Weltkrieg in seine Fußstapfen. Im zarten Alter von 19 Jahren trat er in die Notenbank ein.
    Trotz seiner Ausflüge als Gewerkschaftsfunktionär, Mitarbeiter des staatlichen Planungsausschusses und Mitglied des Europäischen Parlaments verlor Delors nie ganz den Habitus des strengen, technokratischen Notenbankers. Er war zwar offiziell Sozialist, aber er gehörte der sehr gemäßigten Linken an und war weniger als viele seiner Kollegen von der Fähigkeit des Staates überzeugt, die Entwicklung des Marktes besser vorauszusehen als der Markt selbst. Außerdem war er pro-europäischer als viele seiner sozialistischen Kollegen und befürchtete, das staatliche Programm massiver Nachfrageanreize könnte nicht nur die Stabilität des Francs, sondern dadurch auch das Projekt Europa gefährden. In seiner
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