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Das Ende der Welt (German Edition)

Das Ende der Welt (German Edition)

Titel: Das Ende der Welt (German Edition)
Autoren: Daniel Höra
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erzählt, dass sie eine alte, noch von irgendeinem Krieg übriggebliebene Mauer wieder aufgebaut und erweitert hatten. Der ganze Ostteil war jetzt gesichert wie eine Festung.

05
    Vor dem Tor drängelte sich eine Menschenmasse wie die Maden um einen Kadaver. Händler, Bittsteller, Landflüchtige, Zefs. Von jedem Abschaum war etwas dabei. Unsere Fahrer hupten uns den Weg frei, aber irgendwann ging es weder vor noch zurück. Noch nie hatte ich so viele und so unterschiedliche Menschen auf einem Haufen gesehen. Ein Ochsengespann rumpelte an uns vorbei. Auf dem mit Möbeln vollgepackten Karren hockte eine uralte Frau, leblos, wie eine Mahnung an den Tod. Mit geschlossenen Augen schaukelte sie ungerührt hin und her. Dem Wagen folgten drei kleine Mädchen, die glänzende weiße Umhänge trugen und von einer dicken Gestalt mit Turmfrisur in einem zeltähnlichen Kleid begleitet wurden.
    »Senatsbürgerkinder«, sagte Wolf, der meinen Blick bemerkt hatte.
    Die Kinder trugen ihr langes Haar offen, ganz im Gegensatz zu den Bälgern der Zefs, die sich Zöpfe flochten, um nicht mit den Haaren in die Maschinen gezogen zu werden, an denen sie arbeiteten. Die Senatsbürgerkinder blickten stolz geradeaus und schienen das Geschehen um sie herum gar nicht wahrzunehmen.
    Am Rand dieses strömenden Flusses stand ein Mann und verkaufte gebratene Maulwürfe am Spieß. Die Biester schmeckten eklig, aber was blieb uns übrig, als sie zu essen? Sie waren eine absolute Plage geworden. Genau wie die Frösche.
    Vor uns ragte das von Säulen getragene Stadttor auf. Darauf thronte eine Siegesgöttin in einer Kutsche, die von vier Pferden gezogen wurde.
    »In dieser Stadt ist jeder willkommen«, sagte Wolf. »Und doch steht die Göttin mit dem Arsch zu den Ankömmlingen. Es gibt eine Legende, wonach sie dir auf den Kopf scheißt, wenn sie dich nicht mag.« Er lachte rau.
    Vom Tor hingen riesige Plakate herab. Auf einem blickte uns Burgers finsteres Gesicht entgegen. Ein anderes warnte vor herrenlosen Taschen, die mit Sprengstoff gespickt sein könnten.
    Die Luft war dick und feucht, auch wenn es seit Stunden nicht mehr geregnet hatte. Ich zerquetschte eine Mücke und beobachtete einen Streit zwischen zwei Männern, die ein grün und blau geschlagenes Zefmädchen an einem Strick hinter sich herzogen. »Sie ist wahrscheinlich aus ihrer Siedlung abgehauen«, raunte mir Wolf zu. »Und jetzt streiten sie, wer die Belohnung kassieren darf.«
    Wir stiegen ab, mit dem LKW kamen wir nicht weiter. Der riesenhafte Bones und der vernarbte Gordon schlugen mit ihren Knüppeln eine Schneise in die Menge.
    Endlich hatten wir uns bis zu den Posten durchgekämpft, die uns durchwinkten. Ich duckte mich unwillkürlich, als wir durch das Tor gingen. Wer wusste schon, ob an Wolfs Legende nicht etwas Wahres war.
    Dann betrat ich die Stadt und wäre am liebsten wieder umgekehrt. Auf dem großen Platz wimmelte es von Menschen. Gestank hing in der Luft, als würde unter der löchrigen Asphaltdecke etwas verwesen. Ich würgte.
    Langsam drehte ich mich im Kreis. So hoch hatte ich mir die Häuser nicht vorgestellt. Ich kannte nur die Hütten der Zefs und ein paar Fabriken und Kasernen, aber was hier herumstand, übertraf alles. Auch an Schäbigkeit. Die Gebäude erinnerten eher an Totenhäuser. Ihre Fenster waren zugenagelt oder zerbrochen, die Fassaden von Einschüssen zersiebt. Trotzdem musste dort jemand hausen; eine Wäscheleine spannte sich zwischen zwei Fenstern, aus einem anderen wehte ein löchriger Vorhang.
    Alle Menschen waren in Eile und drängelten durcheinander. Schwerbewaffnete Soldaten standen wie Felsen in diesem Gewühl und musterten jeden aufmerksam. Eine verzerrte Stimme plärrte unentwegt aus einem Lautsprechermast, ich verstand kein Wort. Ein Mann rempelte mich an. Er war auf der Flucht vor zwei Seuchenpolizisten in Schutzanzügen und mit Gesichtsmasken. Als sie ihn einholten, schlugen sie ihm mit ihren Stöcken in die Nieren, bis er quiekend zusammenbrach.
    Sönn fragte einen der beiden, wo die Registrierungsstelle sei. Der Polizist zeigte auf ein riesiges Haus direkt vor uns. »War früher mal ein Luxushotel. Da haben nur die
    Piekfeinen gewohnt, und jetzt schleusen sie da den Abschaum in die Stadt.« Er lachte dumpf durch seine Maske.
    Vor dem Gebäude warteten erschöpfte Zefs in einer langen Schlange. Ihre Kinder schliefen ausgestreckt auf dem Weg.
    »Das Eingangstor zur Zivilisation«, lachte Wolf neben mir.
    Sönn befahl uns zu warten und winkte
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