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Das Ende der Welt (German Edition)

Das Ende der Welt (German Edition)

Titel: Das Ende der Welt (German Edition)
Autoren: Daniel Höra
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Bibliothek«, sagte der Wachhabende. »In solchen Häusern konnten die Zefs früher Bücher ausleihen. Aber jetzt kann ja keiner mehr lesen, und man kann mit dem alten Papier gut Feuer machen.« Er hob ein Buch auf, riss ein paar Seiten raus und hielt ein Streichholz an das Papier, das flammend aufloderte.
    Da niemand von uns auf einer Pritsche schlafen wollte, reihten wir die Dinger an der Wand auf, wo sie wie wartende Särge standen, und legten uns auf den verschlissenen Teppichboden. Neben mir schnarchte Prüm, während ich krampfhaft versuchte einzuschlafen. Aus Langeweile fing ich an, die Wanzen zu zählen, die auf mir herumkrabbelten. Bei 38 hörte ich auf. Eine Stimme rief Befehle durchs Haus, eine Tür schlug krachend zu. Ich zündete meine Kerze an, griff mir eins der herumliegenden Bücher – das Titelblatt war abgerissen – und schlug es auf: »Du bist tot, Motherfucker!«
    Das gefiel mir, auch wenn ich nicht wusste, was Motherfucker bedeutete. Ich blätterte weiter: »Auf Hiphop standen wir übrigens alle.«
    Hiphop, wieder so ein Wort, das ich nicht verstand. Was für ein Schwachsinn! Vor lauter Langeweile riss ich ein paar Seiten raus und faltete Papierschiffchen, bis ich müde wurde und inmitten meiner Flotte einschlief.
    Am Morgen brachte ich nur mit Mühe mein Frühstück runter, das aus fauligem Brot, kalten Kartoffeln und einem Muschnik bestand. Prüm hatte sich ein Stück abseits gesetzt, was mir nur recht war. So ließ ich mich neben Wolf nieder, der geistesabwesend in seiner Tasse rührte. »Das wird ein harter Tag heute«, versuchte ich ein Gespräch in Gang zu bringen, aber Wolf grunzte nur ein paarmal, um mich dann vollständig zu ignorieren.
    Nach dem Frühstück bekam jeder einen Becher Ketamin. Das Zeug machte unempfindlich gegen Schmerzen. Ich trank meine Ration in einem Zug. Es brannte ein wenig auf der Zunge, meine Kopfhaut kribbelte, und ich spürte, wie sich das Ketamin angenehm warm in meinen Adern ausbreitete. Ich fühlte mich leicht und unverwundbar. Ich liebte dieses Gefühl, wenn jede Faser meines Körpers sich wie eine Bogensehne spannte. In diesem Moment war ich zu allem bereit.
    Wir bekamen jeder einen Schlagstock, der so lang wie mein Arm und mit eisernen Nieten gespickt war. Ich konnte es kaum erwarten, ihn auszuprobieren. Außerdem rissige Brustpanzer aus Blech und einen Schild, der so groß war wie ich. Auch Catos Männer nahmen an dem Einsatz teil, finster aussehende Kameraden, die genauso bissig wirkten wie die zahlreich herumstreunenden Köter in Berlin.
    Die Motoren liefen sich warm, und Dieselgestank hing schwer in der Luft, als Cato und Sönn leicht schwankend auftauchten. Catos Leute jubelten, worauf er abwinkte und sich auf das Trittbrett des vorderen LKW schwang: »Männer!«, rief er. »Der M-Sektor gehört zu den gefährlichsten in der Stadt. Dort regieren die Banden, ansonsten hausen da nur Zefs. Im Grunde genommen ist mir diese menschliche Schlacke egal. Sollen sie sich doch gegenseitig abschlachten. Ich persönlich würde da am liebsten mit einem Flammenwerfer reingehen und alles gründlich reinigen.« Er machte eine Pause, die Kameraden lachten. »Aber der Senat und vor allem unser geschätzter Kanzler wünschen sich eine ordentliche Razzia. Also zeigt unseren Kameraden vom Lande mal, wie das bei uns läuft.«
    Catos Männer johlten und trampelten mit den Füßen.
    »Sechsergruppen«, befahl Cato. »Jede von einem Sperber begleitet. Wenn die Drecksäcke die Tür nicht aufmachen: Eintreten! Widersetzt sich jemand der Verhaftung: Erschießen!«
    Ich konnte es kaum erwarten, zuzuschlagen. Das Ketamin wütete in meinen Adern und schrie: Los! Los! Los!
    »Und Vorsicht!« Cato hob warnend den Finger. »Im M-Sektor haben sogar die Weiber und die kleinen Kinder Reißzähne.«
    Er lachte, kletterte in den Wagen und gab den Befehl zur Abfahrt. Wir fegten aus dem Hof und jagten in halsbrecherischem Tempo die Straßen entlang. Eine Sirene auf dem Dach des LKW jaulte unablässig und scheuchte Fußgänger und Pferdebahnen aus dem Weg. Beinahe wären wir in eine Gruppe von Menschen gerast, die über die Straße liefen und uns nicht kommen sahen. In letzter Sekunde spritzten sie wie Regentropfen auseinander.
    Selbst an den Kontrollpunkten, die wie Schleusen zwischen den einzelnen Sektoren saßen, drosselten die Fahrer ihre Geschwindigkeit kaum. Einmal rammten wir eines der Wachhäuschen. Je näher wir dem M-Sektor kamen, desto verfallener wurde die Gegend. Ein ständiger
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