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Das Ende der Welt (German Edition)

Das Ende der Welt (German Edition)

Titel: Das Ende der Welt (German Edition)
Autoren: Daniel Höra
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Schlamm und Steine hoch, und schlingernd nahm der Wagen Fahrt auf. Wir hatten uns Zeltplanen über die Köpfe gezogen, um uns vor dem Regen zu schützen. So saßen wir jeweils zu viert oder zu fünft unter diesem Schutz und spielten Karten oder dösten. Hin und wieder sah ich hinaus. Eine endlose Reihe von verkrüppelten Bäumen zog vorbei. Dahinter tauchten manchmal Ruinen auf, verlassene Geisterorte. Auf einem Acker hatte sich ein Flugzeug wie eine Blindschleiche mit der Schnauze in die schwarze Erde gewühlt. Ein Flügel ragte starr nach oben, der andere war abgebrochen. Es hieß, die Menschen wären mit diesen Dingern tatsächlich geflogen. Ich hielt das für ein Märchen. Ein Vogel von dieser Größe und diesem Gewicht wäre nie hochgekommen, wie sollte es da so ein Eisen-Monstrum schaffen? Man durfte nicht alles glauben, was man sich über die Zeit vor der Großen Katastrophe erzählte. Die Hälfte der Geschichten konnte man vergessen, und es blieb immer noch genug Unsinn übrig. Angeblich sollte es früher ein Wesen im Himmel gegeben haben, das uns beschützte. So eine Art Ein-Mann-Armee. Aber anscheinend war der Kerl bei der Großen Katastrophe stiften gegangen. So was nennt man Feigheit vor dem Feind, und es endet normalerweise vor dem Standgericht. Sönn hatte uns aus dem Buch vorgelesen, das das Wesen geschrieben hatte. Es ging viel ums Kämpfen und um Krieg. Das hatte uns gefallen.
    Endlich erreichten wir die Autobahn. Der Straßenrand war mit Autowracks übersät. Hinter einigen saßen Gerippe, die Hand am Lenkrad, als wollten sie gleich losfahren. Als wir um ein riesiges Schlagloch herumkurvten, musste ich mich an Prüm festhalten, um nicht runterzufallen. Er funkelte mich böse an.
    Hin und wieder zogen Besitzlose am Straßenrand entlang. Sie hatten ihre zerlumpten Kinder an sich gepresst und sahen uns ängstlich an. Ich formte mit meinen Fingern eine Pistole und zielte auf sie, während sie in einer Staubwolke verschwanden.
    Ein Hyänenrudel brach aus dem Dickicht am Straßenrand. Die Kameraden feuerten auf die quiekenden Tiere, bis eines getroffen zusammenbrach und mit den Beinen zuckte. Seine Artgenossen versammelten sich bellend um den Sterbenden, als würden sie sich verabschieden. Wir hassten diese Biester. Es hieß, sie würden nachts Leichen ausgraben und auffressen.
    Die Nächte fuhren wir durch. Zum Schlafen banden wir uns mit den Koppeln an den Streben fest, um nicht runterzufallen. Selbst gegessen wurde während der Fahrt. Kalte Kartoffeln mit Mais, die in großen Eimern lagerten und nach zwei Tagen von einer Pilzdecke überwuchert waren. Dazu ein Muschnik für jeden.
    Während der kurzen Pausen lehrte uns Sönn weitere Regeln, wie man sich Senatsbürgern gegenüber zu verhalten habe. So durfte man sie niemals berühren. Grüßen tat man sie, indem man die linke Hand hob und die Finger spreizte. Diese Regel stammte noch aus der Zeit kurz nach der Großen Katastrophe, als man Angst hatte, sich mit einer tödlichen Krankheit anzustecken. Nicht, dass wir Soldaten einander ständig anfassten, aber wer zusammen im Feld kämpft, der hat keine Angst vor Berührungen. Schließlich entlausten wir uns gegenseitig oder wärmten uns in kalten Nächten Rücken an Rücken. Wir lachten über die Senatsbürger. Sie wollten jedes Risiko ausschließen. Aber darauf nahm das Leben keine Rücksicht.
    Am Morgen des dritten Tages tauchten die ersten Gebäude Berlins in der Ferne auf. Am gelblichen Himmel hingen schorfige Wolken, die aussahen, als könnten sie jederzeit aufplatzen und einen Eiterregen auf uns niedergehen lassen. Wir fuhren durch die Ruinen der Außenbezirke, die seit der Großen Katastrophe nicht mehr bewohnt waren. Vorbei an einem zerfallenen Schloss mit einer vermoderten grünen Kuppel. Zwischen den zerstörten Gebäuden einer Universität sah ich etwas umherhuschen. Von Sönn wusste ich, dass dort Deportierte und Flüchtlinge hausten, die sich mit Gaunereien über Wasser hielten. Er hatte uns eingeschärft, sofort zu schießen, wenn uns etwas verdächtig vorkam. Und das taten wir auch. Wir feuerten mit Gummimantelgeschossen auf alles, was sich in den Ruinen herumtrieb, und wenn wir einen Aufschrei hörten, bekam der Schütze einen Punkt. Eine gute Übung für das Treffen beweglicher Ziele.
    Als wir an einer eingefallenen Säule, zu deren Füßen eine riesige Statue mit Flügeln, aber ohne Kopf lag, sahen wir das Stadttor. Dahinter hatten sich die Überlebenden verschanzt. Sönn hatte uns
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