Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Ende der Welt (German Edition)

Das Ende der Welt (German Edition)

Titel: Das Ende der Welt (German Edition)
Autoren: Daniel Höra
Vom Netzwerk:
garantierten das Überleben. »Ohne uns würde das Chaos regieren.«
    Wie oft hatte uns Sönn diesen Satz eingehämmert.
    Nachts auf Streife malte ich mir aus, wie ich Burger erwischen würde. Dann wäre ich ein Held. Mein Bild wäre in der Zeitung, ich würde einen Orden bekommen, und alle Mädchen würden mich bewundern. Leider wusste niemand, wo Burger sich versteckt hielt. Seine Leute hielten selbst unter der Folter dicht. So als hätten sie mehr Angst vor ihm als vor den Schmerzen.

03
    An einem der darauffolgenden Tage ließ Sönn uns Kadetten und die Offiziere zu sich rufen. Wir versammelten uns in seiner Stube, einem kargen Raum mit einer Pritsche, einem Hocker und einem wackligen Tisch. An der Wand hing ein Bild von General Cato. Cato war eine Legende und einer der berühmtesten Kämpfer unserer Tage. Sönn hatte mit ihm in der Schlacht von München Seite an Seite gekämpft.
    Wir jungen Soldaten bewunderten Kämpfer wie Cato. Wir trugen die Haare wie sie, knöpften uns die Jacke wie sie, imitierten ihre Sprache, ihren Gang, ihre Bewegungen. Wenn wir als Kinder eine Schlacht nachspielten, wollte jeder von uns Cato sein. Bilder mit seiner Unterschrift wurden von ihren Besitzern wie ein Schatz gehütet. Ich hätte einiges dafür gegeben, ihm wenigstens einmal die Hand schütteln zu dürfen.
    Sönn musterte uns eine Weile. Wie die meisten Soldaten war er kein großer Redner.
    »Meine Herren«, begann er. »Unsere Einheit wird verlegt.« Er machte eine Pause. »Nach Berlin.«
    Wir sahen uns überrascht an. Berlin war unsere Hauptstadt.
    »Die Senatswahl steht an.« Sönn hielt ein Flugblatt hoch.
    »Das stammt vom Befreiungsausschuss.« Er räusperte sich: »Wir werden die Wahl in einem Meer aus Feuer und Blut ertränken. Die verbrecherischen Senatsbürger werden ihre Macht nicht länger durch Scheinwahlen aufrechterhalten« , las Sönn und ließ das Blatt sinken. »Wir werden die kostbaren Ärsche der Senatsbürger schützen«, sagte er und machte ein missmutiges Gesicht. Sönn hasste die Senatsbürger, für ihn waren sie Parasiten, die auf unsere Kosten lebten. Zwar erließen sie die Gesetze, um zu verhindern, dass sich so etwas wie die Große Katastrophe wiederholen konnte, und sie gaben dem Volk Arbeit und Lohn mit ihren Fabriken und Höfen, aber ohne die Armee waren sie schutzlos. Unsere Waffen machten sie stark. Die Senatsbürger waren wie fette Fliegen, die sich an einer Blutlache mästeten.
    »Wir werden in zwei Stunden aufbrechen«, unterbrach Sönn meine Gedanken und schickte uns raus.
    »Mann!«, sagte Prüm, als wir draußen standen und unsere Käppis aufsetzten. »In die Hauptstadt. Stell dir das vor.«
    Er freute sich. Ich weniger. Ich war noch nie in Berlin gewesen und hatte auch nichts Gutes darüber gehört.
    Laut sollte es dort sein und sittenlos. Die Stadt war neben den Senatsbürgern überwiegend von Zefs bevölkert: Händler, Zeitungsschmierer, Prostituierte, Tagelöhner, Fahrkartenverkäufer. Jeder, dem Geld wichtiger war als die Ehre, kroch dort im Schlamm der Straßen herum.
    Außerdem gab es in Berlin zu viele Frauen. Und Frauen waren Gift für einen Soldaten. Sie brachten einen dazu, den Kampf weniger zu lieben und den Tod zu fürchten. Außerdem war ich ein Kämpfer und kein Wachhund der Senatsbürger.

04
    Unsere Kompanie saß bereits auf den altersschwachen Mannschaftswagen, als Sönn sagte: »Ich muss euch noch ein, zwei Sachen mit auf den Weg geben.« Er sah aufmerksam in den Himmel, als würde da ein Hinweis stehen. »In Berlin gelten andere Regeln als bei uns.« Sönn sah uns an. »Die Senatsbürger waschen sich täglich.«
    »Was?«, fragte Bones empört. »Wissen die nicht, dass das schädlich ist?«
    Wir lachten, doch Sönn brachte uns mit einer Handbewegung zum Verstummen.
    »Außerdem werden wir in Berlin in richtigen Betten schlafen.«
    Jetzt murrten wir alle. Betten waren wir nicht gewohnt. Wir schliefen auf der nackten Erde, ganz selten auf Pritschen. Die Ärzte warnten uns immer wieder, wie schädlich das Schlafen in Betten sei. Die Matratze könnte das Rückenmark zerstören.
    »Ich habe hier ein Handbuch«, sagte Sönn und hielt mit spitzen Fingern ein kleines Buch in die Höhe. »Hier stehen alle Verhaltensregeln drin. Wir werden sie unterwegs auswendig lernen.« Er verzog den Mund. »Und wenn wir unseren Auftrag ausgeführt haben, werden wir uns mit diesen Regeln den Arsch abwischen.«
    Wir lachten, dann gab Sönn das Zeichen zum Aufbruch.
    Die Reifen schleuderten
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher