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Das Ende der Sterne wie Big Hig sie kannte

Das Ende der Sterne wie Big Hig sie kannte

Titel: Das Ende der Sterne wie Big Hig sie kannte
Autoren: Peter Heller
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Millionen Quadratkilometer großen, norwegischen Fichtenwald. Manchmal fürchte ich, meine Gedanken könnten durchgehen und im Gebüsch verschwinden. Wahrscheinlich liegt es nicht an mir; wahrscheinlich ist es ganz normal, angesichts der Umstände.
    Ich wehre mich gegen die Orientierungslosigkeit: Neun Jahre sind vergangen, seit die Grippe fast alle Menschen getötet hat. Danach kam die Blutkrankheit und tötete noch ein paar mehr. Die Übriggebliebenen sind alles andere als angenehme Zeitgenossen, nur deswegen leben wir hier in der Ebene, nur deswegen fliege ich jeden Tag Streife.
    Nach den Überfällen habe ich mir angewöhnt, im Freien zu schlafen. Offenbar suchten die Überlebenden uns auf der Landkarte als Ziel aus. An einem Fluss – check. Wasser in der Nähe – check. Möglicherweise Benzinvorräte – check. War ja schließlich mal ein Flughafen – check. Jeder, der sich auskannte, wusste, dass unser Flughafen ein Modellprojekt zur nachhaltigen Energiegewinnung gewesen war – check. Wohnhäuser und FBO wurden hauptsächlich mit Windenergie versorgt. Check. FBO heißt so viel wie Fixed Base Operator. Man könnte der Einfachheit halber auch sagen: Flughafenbetreiber. Wenn die Leute gewusst hätten, was auf sie zukommt, hätten sie es nicht so kompliziert gemacht.
    Die meisten Eindringlinge kamen nachts. Sie kamen allein und in Gruppen, sie kamen mit Waffen, mit Jagdgewehren und Messern, wie die Motten wurden sie von der Außenleuchte angezogen, die ich über Nacht auf der Veranda brennen lasse.
    Auf dem Haus, in dem ich nicht schlafe, habe ich vier Sechzigwatt-Solarzellen, deswegen können wir es uns leisten, die LED-Leuchte die ganze Nacht brennen zu lassen.
    Ich war nicht im Haus. Ich lag etwa hundert Meter entfernt hinter einer Böschung in Decken gewickelt und schlief. Der Flughafen ist alt und besteht größtenteils aus Freiflächen. Jaspers lautes Knurren. Jasper ist ein australischer Schäferhundmischling mit feiner Nase. Ich wache auf. Ich warne Bangley über das Funkgerät vor. Er betrachtet das Ganze als eine Art Sport. Als eine Entschlackungskur, so wie ich in die Berge gehe.
    Die Böschung war ein recht ansehnlicher Erdhügel, den wir künstlich erhöht hatten. Man konnte sich dahinter verstecken, sogar im Stehen. Bangley schleicht sich an und kriecht zu mir auf die Hügelkuppe, wo ich schon mit der Nachtsichtbrille auf der Lauer liege. Ich höre seinen rasselnden Atem. Er trägt ebenfalls eine Nachtsichtbrille, genau genommen besitzt er vier oder mehr davon. Ich habe meine von ihm bekommen. Er sagt, so selten, wie wir sie benutzen, werden die Dioden zehn, vielleicht sogar zwanzig Jahre halten. Und dann? Letztes Jahr habe ich meinen vierzigsten Geburtstag gefeiert. Jasper bekam eine Leber (vom Hirsch), ich eine Dose Pfirsiche. Ich hatte Melissa eingeladen, sie kam wie immer, als Wispern und als Schauder.
    In zehn Jahren sind die Zusatzstoffe im Treibstoff so weit abgebaut, dass er unbrauchbar wird. In zehn Jahren ist all das hier vorbei. Vielleicht.
    In der Hälfte aller Nächte, bei Vollmond oder bei sternklarem Himmel oder bei Schnee, kann Bangley auf die Brille verzichten. Er hat ja immer noch den Ziellaser, er richtet den roten Lichtstrahl auf die Gestalten, die rumschleichen oder -stehen, die kriechen und flüstern, er setzt den roten Punkt mittig auf den Schatten neben dem Müllcontainer, auf einen Torso. Peng . Er lässt sich Zeit, plant die Reihenfolge, peng peng peng . Kurz vor dem Schuss wird sein Atem schwerer, rasselnder, so als wolle er es jemandem besorgen, was er ja gewissermaßen auch tut.
    Die größte Gruppe, mit der wir es mal zu tun bekamen, bestand aus sieben Personen. Bangley lag neben mir und zählte sie keuchend durch. Heilige Scheiße, murmelte er, und dann gluckste er, so wie immer, wenn er unzufrieden ist. Will heißen: noch unzufriedener als sonst.
    Hig, flüsterte er, du wirst mir helfen müssen.
    Ich habe ein halbautomatisches AR- 15 , mit dem ich mich recht geschickt anstelle, dazu das Nachtsichtgerät. Aber ich.
    Ich half ihm.
    Drei überlebten die erste Salve, und dann lieferten wir uns die erste richtige Schießerei überhaupt. Aber sie hatten keine Nachtsichtbrillen und kannten das Gelände nicht, deswegen dauerte es nicht lange.
    Danach gewöhnte ich mir an, draußen zu schlafen. Ich wollte mich nicht im Haus erwischen lassen. Ein Drache schläft in seiner Höhle auf seinem Schatz, ich nicht. Ich gehe lieber auf Abstand.
    Nach dem zweiten Sommer wurden es
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