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Das Ende der Sterne wie Big Hig sie kannte

Das Ende der Sterne wie Big Hig sie kannte

Titel: Das Ende der Sterne wie Big Hig sie kannte
Autoren: Peter Heller
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immer weniger, so als hätte jemand einen tropfenden Wasserhahn zugedreht, tropf, tropf. Zunächst kam noch ein Besucher pro Saison, schließlich keiner mehr. Ein Jahr später dann die Bande aus vier Desperados, die uns fast den Garaus gemacht hätten. Seither mache ich regelmäßige Kontrollflüge, so als würde ich dafür bezahlt.
    Inzwischen müsste ich nicht mehr im Freien schlafen. Wir haben unser System, wir fühlen uns sicher. Die Angst ist wie die vage Erinnerung an eine Übelkeit. Normalerweise vergisst man, wie schlecht es einem ging und dass man nah dran war, lieber sterben zu wollen. Ich vergesse nicht. Ich schlafe im Freien. Im Winter wiegt mein Deckenberg an die zehn Kilo. Mir gefällt das. Wenigstens bin ich nicht eingesperrt. Ich schlafe immer noch hinter der Böschung, lasse das Licht auf der Veranda immer noch brennen, immer noch liegt Jasper neben meinen Beinen zusammengerollt, er fiept und zuckt im Schlaf und hat seine eigene Decke. Inzwischen ist er schwerhörig, wenigstens vermute ich das. Als Alarmanlage taugt er nicht mehr viel, was wir Bangley jedoch nicht verraten. Bei Bangley kann man nie wissen. Er hamstert. Am Ende neidet er dem Hund das Fleisch, wer weiß. Bei ihm muss immer alles einen Zweck erfüllen.
    Früher besaß ich ein Buch über die Sternbilder, aber ich habe es verloren. Mein Gedächtnis ist noch ganz okay, wenn auch nicht himmlisch, ha ha. Ich denke mir Sternbilder aus. Ich habe mir einen Bären und einen Steinbock ausgedacht, wenn auch nicht an der richtigen Stelle. Manche Sternbilder heißen wie die Tiere, die längst ausgestorben sind und die ich noch kannte. Ich habe mir ein Sternbild für Melissa ausgedacht, in kalten Winternächten steht sie schief lächelnd und riesengroß hoch oben am Himmel und schaut auf mich runter. Sie schaut runter, während der Frost meine Wimpern verklebt und sich Flocken in meinem Bart absetzen. Ich habe mir ein Sternbild für unseren kleinen Engel ausgedacht.
    *
    Melissa und ich haben an einem Seeufer in Denver gelebt, nur sieben Minuten von der Innenstadt entfernt, vom großen Buchladen, den Restaurants und den Kinos. Das gefiel uns. Durch die großen Fenster unseres kleinen Hauses sahen wir Wiesen, das Wasser, die Berge. Die Gänse. Es gab eine ortsansässige Schar und dazu die Kanadagänse, die im Frühjahr und im Herbst als riesiges V vorüberzogen. Manchmal mischten sie sich unter die Einheimischen, paarten sich, zogen weiter. Als lärmender Pulk erhoben sie sich in die Luft. Ich konnte die Zugvögel von den anderen unterscheiden, wenigstens bildete ich mir das ein.
    Wenn wir im Oktober und im November vor dem Abendessen unsere Runde um den See drehten, machten wir einander auf die Gänse aufmerksam. Melissa verwechselte die Arten, meiner Ansicht nach. Dann wurde sie fast wütend. Sie war intelligent, aber sie kannte die Gänse weniger gut als ich. Ich hielt mich für längst nicht so intelligent, dafür wusste ich vieles aus dem Bauch heraus.
    Als wir den Welpen Jasper aufnahmen, sah ich mich bestätigt. Er machte Jagd auf die schreckhaften Wildgänse, nicht aber auf die wehrhaften einheimischen Vögel. Zumindest war das meine Theorie.
    Wir hatten keine Kinder. Es lag an Melissa. Wir suchten einen Arzt auf, der uns Therapien verkaufen wollte, aber wir lehnten ab. Wir waren einander genug. Und dann wurde sie es doch, wie durch ein Wunder. Schwanger. Wir hatten uns an die Zweisamkeit gewöhnt, und ich war mir nicht sicher, einen anderen Menschen genauso lieben zu können wie sie. Ich beobachtete sie im Schlaf und dachte: Ich liebe dich mehr als alles.
    Manchmal, wenn ich mit Jasper zum Angeln an den Sulphur River fuhr, stieß ich an meine Grenzen. Dann hatte ich das Gefühl, mein Herz könnte platzen. Platzen ist nicht dasselbe wie brechen. Unfassbar, diese Schönheit. Und es war nicht nur das, nicht nur schön. Es hatte etwas damit zu tun, wie ich mich hier einfügte. Die Flussbiegung mit den glatten Steinen, die überhängenden Felsen. Der Duft der Kiefern. Die kleinen Cutthroats, die im schwarzen, stehenden Teil des Gewässers ihre stillen Kreise zogen. Kein Grund, sich bei irgendwem zu bedanken. Einfach nur sein. Einfach nur angeln. Einfach nur durchs Wasser waten, es wird dunkel, es wird kalt, es ist alles eins. Mit mir, irgendwie.
    Und auch Melissa gehörte dazu. Wenn auch auf eine andere Weise; unsere Seelen waren verbunden. Ich konnte sie in meinen gekrümmten Händen halten, vorsichtig, ganz vorsichtig. Das Land kann ich nicht
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