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Das Ei und ich

Das Ei und ich

Titel: Das Ei und ich
Autoren: Betty McDonald
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hören wollte, mit, ich sei ihr wie aus dem Gesicht geschnitten, und mit drei Jahren habe sie genauso ausgesehen. In Placerville führte Mrs. Wooster, so hieß sie, glaube ich, das Leben einer respektierlichen, verheirateten Frau. Doch schien dies nicht den Gipfelpunkt ihrer Träume darzustellen, denn sie sprach oft sehnsuchtsvoll von der »guten alten Zeit«. Ich kann der Guten diese Sehnsucht nachfühlen, denn wenn ich auch nie Prostituierte in Alaska war und nie im Flimmerkostüm in einer Bar tanzte, so hängt mir das ewige Waschen und Bügeln und Kochen Tag für Tag, ehrlich gesagt, auch zum Halse heraus. Natürlich kam bei Mrs. Wooster noch erschwerend hinzu, daß es ihr besonders langweilig erscheinen mußte, jede Nacht mit demselben Mann ins Bett zu gehen.
    In Placerville beaufsichtigte mein Vater den Bau seines ersten großen Erzbergwerks, und da seine Arbeit schwierig, anstrengend und zeitraubend war, riß meine Mutter allein die Zwischenwände unseres wackligen Holzhauses nieder, baute einen Kamin ein und brachte meinen Bruder Sydney Cleveland auf die Welt, alles ohne Vaters Hilfe. Cleveland hatte rote Haare, was in Placerville beträchtliches Aufsehen erregte, da Mutter blonde Haare und braune Augen und Vater tintenschwarzes Haar und graue Augen hatte. Daß Vater mit einem roten Bart auftrumpfen konnte, wenn er ihn nur wachsen ließ, ahnten die Leute natürlich nicht. Zu Cleves Geburt telegrafierte Mutters Vater: HOFFENTLICH FÜHLST DU DICH NICHT BERUFEN IN JEDEM STAAT DER UNION EIN KIND ZUR WELT ZU BRINGEN.
    Unser nächster Wohnungswechsel führte uns gen Osten, auf Besuch zu Mutters Mutter, genannt »die liebe Großmama«. Kaum waren wir angekommen, wurden meine Geschwister und ich unter der Oberaufsicht eines mit Polypen in der Nase gesegneten Kinderfräuleins namens Phyllis ins Kinderzimmer verbannt, und als mein fünfter Geburtstag gefeiert wurde, ermahnte die liebe Großmama die eingeladenen Kinder, keine Geschenke mitzubringen. Lieber Himmel, sehnten wir uns nach unserer guten alten Gammy mit ihren verkehrt angezogenen Schuhen und der netten, gemütlichen Art! Die liebe Großmama war berühmt wegen ihrer Schönheit und ihrer aufrechten Haltung. Sie hielt darauf, daß Mary und ich beim Laufen die Fußspitzen in graziösem Winkel auswärts kehrten, höflich: »Danke schön, sehr gut« erwiderten anstatt »gut«, wenn sich die Leute nach unserem Wohlergehen erkundigten, und jedesmal knicksten beim Guten-Morgen-Wünschen. Sie gab sich redlich Mühe, uns urwüchsigen kleinen Tolpatschen etwas Schliff beizubringen, doch kaum kehrten wir nach Hause zurück in westlichere Gefilde, ließ uns Vater wie Indianer herumstrolchen, und der graziöse Winkel der Fußspitzen geriet bald in Vergessenheit. Bei dieser Gelegenheit möchte ich erwähnen, daß die Gangart der Indianer, Fußspitzen geradeaus, das einzige an ihnen ist, was mich zur Nachahmung reizt.
    Nach unserer Rückkehr von Auborn übersiedelten wir nach Butte, und dort blieben wir vier Jahre.
    Aus Butte sind mir besonders die langen Unterhosen in Erinnerung, die Gammy sehr persönlich »Bauscher« taufte. Wir zogen unsere »Bauscher« an den Knöcheln fest, damit die weißen Strümpfe keine Falten warfen. Meinen prachtvollen Blitzschlitten habe ich auch nicht vergessen, mit dem ich die Montanastreet fünfzehn Häuserblocks hinuntersauste, woraufhin ich ihn keuchend wieder hinaufzog. Und ich erinnere mich auch an die Eiszapfen, die, lang wie unsere Beine, vom Küchenfenster hinunterhingen, und an die nächtlichen Schlittenfahrten mit Vater im Bob, den er unweigerlich jedesmal zum Kippen brachte, was bei uns johlendes Geschrei auslöste. Zum Frühstück gab’s Kabeljau mit Bratkartoffeln und mittags Suppe mit Fettklümpchen darin, die Gammy »Augen« nannte. Sonntagabend spazierten wir mit Vater zur Post, in den in Fäustlingen steckenden Händen ungeschickt Tüten mit Maiskörnern haltend, die wir heiß und fettig in den Mund stopften. Und einmal zu Weihnachten hatten wir Scharlach, und das Quecksilber blieb im Thermometer unten im Kügelchen stecken, als das Fieber sank, und alle die herrlichen Geschenke, die wir bekommen hatten, wurden nachher verbrannt. Zur Tanzstunde scharwenzelten wir mit hochroten Wangen über den knirschenden Schnee, die schwarzen Lackschühchen im Beutel in der Hand, unseren Atem als weiße Wölkchen vor uns. Und eine erfrorene Wange, die Mutter mit Schnee auftaute! Und eine unvergeßliche nächtliche Schlittenfahrt ins Gebirge
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