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Das Ei und ich

Das Ei und ich

Titel: Das Ei und ich
Autoren: Betty McDonald
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Menge weiblicher Wesen in Butte, die Anspruch auf diese Bezeichnung erhoben – die ehernen Gesetze, die von Boston bis Atlanta galten, über den Haufen geworfen hatten und frisch-fröhlich der Natur ins Handwerk pfuschten mit allem, was ihnen in die Finger kam. Mutter liebte den Westen und seine Bewohner.
    Meine Schwester Mary wurde in Butte geboren. Sie hatte rote Haare und wurde Mutters Familie zu Gefallen mit dem mittleren Namen Ten Eyck beglückt, was ihr während der Schulzeit den naheliegenden Spitznamen Mary Tin Neck – so etwas wie Mary Blech-Hals – eintrug.
    Mary war knapp ein Jahr alt, als mein Vater nach Nevada geschickt wurde, um dort abgelegene Ländereien auf Gold-Vorkommen zu prüfen. Mutter folgte ihm frohgemut, lebte in einem Schuppen und ritt hoch zu Roß mit dem Baby vor sich auf dem Sattel durchs Land. Beide, Mutter und Vater, waren glücklich dabei.
    Ich kam in Boulder in Colorado zur Welt. Gammy hauste damals bei uns, und als eines Nachts bei Mutter die Wehen einsetzten, rief sie Gammy – Vater war gerade auf einer Mineninspektion – und bat sie, dem Arzt und der Pflegerin zu telefonieren. Doch Gammy, beseelt vom gleichen unerklärlichen Drang, der sie veranlaßte, ihre Korsetts verkehrt herum anzuziehen, rannte über die Straße, polterte an die Tür eines Tierarztes und schleppte den Fassungslosen, als er endlich verschlafen und nur mit Hemd und Unterhose bekleidet erschien, an Mutters Bett. Mutter sandte den armen Mann mit ruhiger Überlegenheit nach Hause, aber durch die entstandene Verzögerung und die allgemeine Verwirrung kam ich zur Welt, bevor der richtige Doktor zur Stelle war. Dadurch blieb Gammy nichts übrig, als selbst zuzugreifen und mit eigenen Händen die Nabelschnur abzubinden und abzuschneiden. Das war sehr unangenehm, denn als Mädchen der Südstaaten war Gammy sehr keusch erzogen worden und dementsprechend unbelastet von anatomischen Kenntnissen. Sie nahm an, die Nabelschnur müsse geknotet werden, packte mich also wie das ausgefranste Ende eines Taus und schob mich unter, über und neben der Nabelschnur hin und her im vergeblichen Bemühen, einen Knoten zu knoten. Zu guter Letzt setzte sich meine Mutter auf, band die Schnur selbst ab und durchschnitt sie. Ich wurde nach Gammy genannt und bildete somit ein neues Glied in der stattlichen Reihe der Anne Elizabeth Campbells. Mein Haar war weiß, wurde jedoch später rot.
    Als ich ein paar Wochen alt war, erhielt Mutter ein Telegramm von Vater mit folgendem Inhalt: FAHRE DONNERSTAG FÜR ZWEI JAHRE NACH MEXIKO CITY STOP MACHE DICH BEREIT FALLS DU MITKOMMEN WILLST – Das war am Montag. Mutter telegrafierte zurück: WERDE FERTIG SEIN, und sie war es auch. Am Donnerstag morgen machten wir uns alle, Gammy inbegriffen, nach Mexiko auf.
    Es war gerade die letzte Amtsperiode des Präsidenten Diaz in Mexiko, und Mexiko City war eine wundervolle Stadt mit einer Unmenge Mexikanern, Blumen und herrlichen Pferden. Meine Schwester Mary wurde wegen ihrer roten Haare von den Mexikanern angestaunt und lernte fließend Spanisch, ich aber als schwerfälliger Dummkopf begann erst mit drei Jahren ein paar Wörter zu lallen. Es gab eine ganze Reihe von Erdbeben während der Jahre, die wir in Mexiko verbrachten, aber Mutter neigte nie zu Hysterie; sie erkundigte sich über empfehlenswertes Verhalten bei Erdbeben, und sobald die Lampen Kreise zu ziehen begannen, die Spiegel schaukelten und die Wände zitterten, trieb sie Mary, Gammy und mich wie eine Herde Schafe in das Treppenhaus vorne beim Eingang, wo die Mauern besonders stark sein sollten, und wirklich, obwohl sich kreuz und quer durchs ganze Haus Risse zogen, blieben wir alle unverletzt. Eine Nachbarin hielt es in ihrer Aufregung nicht mehr in ihrer Wohnung aus; sie rannte im Nachthemd auf die Straße, wo – was zu berichten mir besondere Freude bereitet – gerade unter ihr ein Wasserrohr platzte.
    Von Mexiko wurden wir nach Placerville in Idaho verschlagen, in eine Bergwerkssiedlung im Gebirge, in der Nähe von Boise. Im Winter lag der Schnee drei bis vier Meter hoch, und Mutter war gezwungen, die Lebensmittel fürs ganze Jahr einzukaufen. Unsere nächste Nachbarin war eine Frauensperson, die auf eine sehr bewegte und ertragreiche Vergangenheit als Prostituierte in Alaska zurückblickte und eine Kette aus Goldklümpchen um den Hals trug, die ihr bis zu den Knien reichte. Mich hatte sie besonders ins Herz geschlossen, wie Mutter erzählt, und teilte zu Gammys Entsetzen jedem, der es
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