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Das Echo

Titel: Das Echo
Autoren: Minette Walters
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zu wählen, an dem sie verreist war. Ihre Abwesenheit gewinnt nur Bedeutung, wenn eine andere Person dieses Wochenende wählte.«
    Der Standpunkt der Polizei berücksichtigt auch nicht das Fax, das James Streeter seinem Bruder schickte: »Ich bin das ganze Wochenende zu Hause. Ruf mich an, wenn es Dir paßt. Ich habe Dad versprochen, ihn Sonntagmittag zurückzurufen.« Die Tatsache, daß John Streeter in der Tat bei seinem Bruder anrief, sich aber nichts dabei dachte, als niemand sich meldete, mag, wie die Polizei behauptet, vorhersehbar gewesen sein, dennoch mutet es merkwürdig an, daß James Streeter, wenn er schuldig war, ein solches Risiko eingegangen sein soll. Wenn wir dies neben Kenneth Streeters durch einen Lügendetektor geprüfte und bestätigte Behauptung stellen, daß James ihm versprochen hatte, ihn an jenem Sonntag anzurufen, erweist sich dieses ganze riskante Spiel als völlig überflüssig. Hätten John und Kenneth weiterhin versucht, James zu erreichen, so wäre James’ Abwesenheit vielleicht früher entdeckt worden.
    Bei der Verteidigung ihres Sohnes stützten sich die Streeters auf eine Verschwörungstheorie - eine Person, die in der Bankhierarchie höher gestanden sei als James und Zugang zu vertraulichen Informationen gehabt habe, habe Entscheidungen und Ereignisse manipuliert, um der Entlarvung zu entgehen -, doch ohne Beweise scheint ihr Kampf um die Reinwaschung des Namens ihres Sohnes aussichtslos zu sein. Verschwörungstheorien funktionieren leider im Roman besser als im wirklichen Leben, und bei objektiver Betrachtung der Indizien muß die Schlußfolgerung lauten, daß James Streeter in der Tat 10 Millionen Pfund stahl, ehe er floh und es seiner Familie überließ, den bitteren Lohn seines Verrats zu ernten.
     
    Trotz der gegenteiligen Behauptung der Streeters scheinen sowohl James Streeter als auch Peter Fenton echte vor dem Gesetz Flüchtige zu sein. Beide waren sie reife Männer in geordneten Verhältnissen, so daß ihr Verschwinden innerhalb der Gemeinden, in denen sie lebten, Aufsehen erregen und folglich eingehende Nachforschungen auslösen mußte. Dies jedoch trifft nicht auf die nächsten zwei »Verschwundenen« zu, Tracy Jevons, eine schwierige Fünfzehnjährige, von der bekannt war, daß sie auf den Strich ging; und Stephen Harding, einen zurückgebliebenen Siebzehnjährigen, der mehrmals wegen Autodiebstahls verurteilt wurde …

2
    Sechs Monate später, mitten in einem kalten, regnerischen Dezember, als der glühende Juni und seine sengende Hitze längst ferne Erinnerung waren, erhielt Mrs. Powell einen Anruf von einem Journalisten des Street , einer politisch linksorientierten Zeitschrift, der an einem Feature über Armut und Obdachlosigkeit arbeitete und anfragte, ob sie zu einem Gespräch über Billy Blake bereit wäre. Sein Name war Michael Deacon.
    »Woher haben Sie meine Nummer?« fragte sie argwöhnisch.
    »Das war nicht schwierig. Vor sechs Monaten standen Ihr Name und Ihre Adresse ja in allen Zeitungen, und Sie stehen im Telefonbuch.«
    »Ich kann Ihnen nichts sagen«, erklärte sie. »Die Polizei wußte mehr über ihn, als ich je erfahren habe.«
    Er ließ nicht locker. »Ich werde Ihre Zeit nicht lange in Anspruch nehmen, Mrs. Powell. Wie wäre es, wenn ich morgen abend gegen acht vorbeikomme?«
    »Was wollen Sie denn über ihn wissen?«
    »Alles, was Sie mir erzählen können. Seine Geschichte hat mich sehr berührt. Keiner außer Ihnen schien sich für ihn zu interessieren. Von der Polizei habe ich erfahren, daß Sie seine Bestattungskosten übernommen haben. Ich habe mich gefragt, warum.«
    »Ich hatte das Gefühl, ihm etwas zu schulden.« Es trat ein kurzes Schweigen ein. »Sind Sie der Michael Deacon, der früher beim Independent war?«
    »Ja.«
    »Ich habe es bedauert, als Sie dort aufgehört haben. Ich mag Ihre Art zu schreiben.«
    »Danke.« Seine Stimme klang überrascht, als wären Komplimente eine Seltenheit. »Wenn das so ist, kann ich Sie vielleicht doch überreden, sich mit mir zu unterhalten? Sie sagen, Sie hatten das Gefühl, Billy etwas zu schulden.«
    »Ja, nur gefällt mir der Street nicht, Mr. Deacon. Jemand von dieser Zeitschrift würde mich doch nur über Billy befragen wollen, um der Regierung billig eins auswischen zu können, und ich lehne es ab, mich auf diese Weise ausbeuten zu lassen.«
    Diesmal war es Deacon, der schwieg, während er seine Taktik überdachte. Es wäre eine Hilfe, überlegte er, wenn er der leisen, ziemlich
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