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Das Echo dunkler Tage

Das Echo dunkler Tage

Titel: Das Echo dunkler Tage
Autoren: Dolores Redondo
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küsste ihn und verließ eilig das Restaurant.
    Die drei Stufen zum Parkplatz sprang sie fast hinunter, in der einen Hand den Umschlag, in der anderen den Autoschlüssel. Als sie aufschloss, kam Amaia hinter dem Wagen hervor.
    »Ermittlungsergebnisse an sich zu nehmen ist strafbar, wusstest du das?«
    Wie vom Donner gerührt blieb Flora stehen und fasste sich an die Brust. Sie war ganz blass.
    »Hast du mich erschreckt!«
    »Willst du nicht meine Frage beantworten?«
    »Wie? Ach, das hier«, sagte sie und hob den Umschlag in die Höhe. »Das habe ich gerade auf dem Boden gefunden, hatte noch gar keine Zeit, einen Blick reinzuwerfen. Der muss Inspector Montes runtergefallen sein.«
    »Flora, ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie du das Schreiben gelesen hast. Und auf dem Papier sind garantiert überall deine Fingerabdrücke.«
    Flora lächelte, um die Sache herunterzuspielen, und öffnete die Wagentür.
    »Wo willst du hin?«, fragte Amaia und drückte die Tür wieder zu. »Du weißt jetzt, dass die Mehlsorten übereinstimmen. Ich muss dich also bitten, mich zu begleiten.«
    »Das fehlte gerade noch«, zeterte Flora. »Bist du schon so verzweifelt, dass du jetzt die ganze Familie verhaftest? Erst Freddy, dann Ros und jetzt mich? Willst du mich einsperren wie damals Mutter?«
    Einige Leute, die gerade das Restaurant betreten wollten, drehten sich zu ihnen um. Amaia wurde immer wütender auf Montes: Freddy, Ros. Hatte dieser Schwachkopf ihrer Schwester etwa alle Ermittlungsfortschritte gesteckt?
    »Du bist nicht verhaftet, aber du weißt jetzt, dass das Mehl aus der Backstube stammt.«
    »Könnte jeder Mitarbeiter gewesen sein.«
    »Stimmt, deshalb brauche ich ja auch deine Hilfe. Außerdem hätte ich gern gewusst, warum du die Mehlsorte gewechselt hast.«
    »Ist doch schon Monate her, das hatte ich längst vergessen.«
    »Nicht Monate: ein paar Tage. Vor etwa einem Monat hat Ros zum letzten Mal Mehl mit nach Hause genommen. Dasselbe Mehl, mit dem der Txantxangorri hergestellt wurde.«
    Flora strich sich nervös mit der Hand übers Gesicht, hatte sich aber schnell wieder im Griff.
    »Entweder nimmst du mich jetzt fest, oder das Gespräch ist hiermit beendet.«
    »Nein, Flora, das Gespräch ist erst beendet, wenn ich das sage. Ich kann dich natürlich auch offiziell vorladen.«
    »Was für ein bösartiger Mensch du bist!«, ätzte Flora.
    »Ich ein bösartiger Mensch? Nein, Flora, ich tue nur meine Arbeit. Wenn hier jemand bösartig ist, dann du. Anderen wehzutun und Gift zu verspritzen scheint dein einziger Lebenssinn zu sein. Mir kannst du nichts anhaben, dafür habe ich beruflich zu oft mit Leuten wie dir zu tun. Aber andere sind nicht so abgehärtet wie ich, und die schikanierst du absichtlich, unterhöhlst ihr Selbstwertgefühl wie bei Ros oder brichst ihnen das Herz wie bei Víctor. Er hat dich gestern mit Montes gesehen.«
    Das zynische Lächeln auf Floras Gesicht erlosch. Amaia wusste, dass sie einen wunden Punkt getroffen hatte.
    »Ich muss mit ihm reden«, sagte Flora wie zu sich selbst.
    Sie öffnete die Wagentür, entschlossen, sich diesmal nicht aufhalten zu lassen.
    »Nicht nötig, Flora. So, wie ihr euch geküsst habt …«
    »Deshalb ruft er nicht zurück.«
    »Wie soll er denn deiner Meinung nach reagieren? Erst machst du ihm Hoffnungen, ihr könntet wieder zusammenkommen, und dann sieht er, wie du einen anderen Mann küsst.«
    »Red nicht so ein dummes Zeug«, sagte sie, schon fast wieder die Alte. »Montes bedeutet mir nichts.«
    »Was sagst du da?«
    »Víctor ist mein Mann. Und er wird es auch immer bleiben.«
    Amaia schüttelte ungläubig den Kopf.
    »Ich habe gesehen, wie du ihn geküsst hast.«
    Flora lächelte selbstgefällig.
    »Du begreifst überhaupt nichts.«
    Plötzlich fiel es Amaia wie Schuppen von den Augen.
    »Du hast ihn nur benutzt, um an Informationen ranzukommen. An die Laborergebnisse zum Beispiel.«
    »Ein notwendiges Übel.«
    Hinter ihr stöhnte jemand auf. Montes stand leichenblass und mit verzerrtem Gesicht zwei Meter hinter ihr. Offenbar hatte er mitgehört, zumindest beim letzten Teil. Flora drehte sich um und sah ihn an, als wäre er ein kleines Ärgernis wie ein gebrochener Absatz oder ein Kratzer am Mercedes.
    »Fermín«, rief Amaia, die Angst hatte, er könnte völlig zusammenbrechen.
    Aber er hörte sie nicht, sondern starrte Flora an und hob langsam den Arm. Amaia schrie auf, weil sie bemerkte, dass er seine Waffe in der Hand hatte. Montes zielte erst auf Floras
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