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Das dunkle Netz der Lügen

Das dunkle Netz der Lügen

Titel: Das dunkle Netz der Lügen
Autoren: Silvia Kaffke
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er bei der Familie angekommen. «Wo kommt ihr her?»
    «Ursprünglich aus Coesfeld, ich habe in einer Tanzkapelle gespielt», erklärte der Mann.
    «Mit der ganzen Familie?»
    Der Mann sah betreten zu Boden. «Als ich kein Geld mehr schicken konnte, wurden sie aus dem Haus geworfen. Da habe ich sie zu mir geholt.»
    «Und zuletzt wart ihr in Cöln?»
    Der Mann nickte. «Es sind schlechte Zeiten. Da wird nicht viel getanzt.» Er sah Ebel bittend an. «Hören Sie, wir durften nur einen Tag in Düsseldorf bleiben und nur zwei in Duisburg. Wir brauchen ein paar Tage Ruhe, mehr nicht. Ich spiele ein bisschen für die Leute, dann können wir uns schon ernähren.»
    «Wir haben selber genug Bettelvolk hier in Ruhrort.»
    «Sie geben den Arbeitern und Handwerkern doch auch drei Tage Zeit! Vielleicht gehe ich auch ins Stahlwerk!»
    Ebel lachte: «Mit diesen Geigerhänden?»
    «Ich habe mal als Maschinenschlosser gearbeitet. In einer Textilfabrik mit Näherei. Da braucht man auch feine Hände.»
    «Wenn du bis morgen Abend nichts gefunden hast, ziehtihr weiter. Und glaubt nicht, dass ich nicht herausbekomme, wo ihr euch aufhaltet.»
    Die Familie zog an ihm vorbei, neun Personen. Bei der letzten, einer Frau oder einem Mädchen, das sich dicht hinter der Ehefrau hielt, streckte Ebel die Hand aus. «Halt! Gehört die zu euch?»
    Die Frau des Geigers schüttelte nur stumm den Kopf. «Nur meine Frau und ich und die sechs Kinder.»
    Auf den ersten Blick hätte die junge Frau gut als Kind der Geigerfamilie durchgehen können, und genau das hatte sie wohl auch beabsichtigt, als sie sich den großen braunen Schal über den Kopf geworfen hatte. Doch der schreiend bunte Rock, jede Stufe in einer anderen Farbe, gehörte wohl kaum zu der durch und durch grauen Schar der Geigerkinder. Ebel zog ihr das Tuch herunter und sah, dass sie auch kein Kind mehr war. Für hiesige Verhältnisse war ihre Haut recht dunkel, die Augen kastanienbraun und die wilden Locken, die sie nur durch ein buntes Kopftuch gebändigt hatte, kringelten sich tiefschwarz darunter hervor.
    «Sieh einer an. Zigeunerin, was?»
    Die kleine Person schüttelte energisch den Kopf. «Mein Vater war Italiener, ich bin keine Zigeunerin.» Das war sauberes Deutsch mit einem weichen, südlichen Unterton, der an die Tiroler Wanderarbeiter erinnerte, die jedes Jahr hier durchkamen.
    Ebels Blick fiel auf das Mieder, das eine nicht sehr saubere weiße Bluse zusammenhielt. Sie verdeckte weitaus weniger, als es in Ruhrort üblich und schicklich war. «Warum wolltest du dich der Kontrolle entziehen?», fragte er. «Wir haben in Ruhrort weiß Gott genug Huren.»
    Hastig griff die Frau in ihren Ausschnitt und zog dann den braunen Schal über der Brust zusammen. «Ich habe Papiere, hier. Ich bin keine Hure.»
    Sie gab Ebel mehrere zusammengefaltete Blätter. Der las und runzelte die Stirn. «Zita Fredowsky, geborene Cattani. Fredowsky, was ist denn das für ein Name?»
    «Mein Mann war Pole.»
    «War?»
    «Er ist tot.»
    Die Fähre hatte wieder abgelegt. Ebel holte seine Taschenuhr heraus und warf einen Blick darauf. Commissar Borghoff wollte heute später zum Dienst kommen, was bedeutete, dass Ebel bis dahin das Kommando hatte. Und diese kostbare Zeit wollte er nicht an der Fähre vertun. «Kramer, Sie machen hier allein weiter. Immer schön freundlich zu den ordentlichen Leuten und streng mit dem Gesindel!»
    Er griff Zita am Arm. «Du kommst mit. Diese Papiere muss ich mir genauer ansehen.»
     
    Lina und Robert hatten sich vom Pfarrer verabschiedet und waren nun auf dem Weg nach Hause. Trotz ihres Gehstockes hatte sie sich noch bei Robert eingehakt, auf dem buckligen Pflaster drohte sie leicht zu stolpern. «Ich bin dir sehr dankbar, dass du mitgekommen bist, Robert.»
    Als sie ihm ihren Entschluss mitteilte, zusammen mit der dicken Martha und ihren Huren an der Beerdigung teilzunehmen, hatte er mit keinem Wort protestiert, dass seine Ehefrau etwas derart Skandalöses tun wollte. «Ich hätte dich ja ohnehin nicht davon abhalten können, Lina.»
    Täuschte sie sich, oder schmunzelte er? «Ich habe mir gedacht, es ist weniger schlimm, wenn ich öffentlich zeige, dass ich das Tun meiner Frau billige.»
    Lina schwieg. Ihr Mann, das wusste sie, hatte ohnehin schon darunter zu leiden, dass sie selbständig ein Geschäft führte, das ihr ein Vielfaches von dem einbrachte, was er verdiente. Und sie ahnte, dass hinter ihrer beider Rücken viel darübergetuschelt wurde, wer im Hause Borghoff die
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