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Das Dunkle Muster

Das Dunkle Muster

Titel: Das Dunkle Muster
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dem aus man die Bergwände sehen konnte. Die Zuhörer, die noch betrunkener waren als er – obwohl keiner von ihnen auch nur annähernd soviel getrunken hatte wie er –, hatten einen Halbkreis gebildet, durch dessen Öffnung er ein- und ausgehen konnte. Tai-Peng war gegen Barrieren jeglicher Art. Wände regten ihn auf, Gefängnismauern machten ihn rasend.
    Die Hälfte des Publikums waren Chinesen des sechzehnten Jahrhunderts, der Rest kam aus allen möglichen Gegenden und Zeiten.
    Tai-Peng hörte mit dem Dichten auf und rezitierte ein paar Verse von Chen Tsu-Ang, wobei er zunächst anmerkte, daß dieser Mann einige Jahre vor seiner, Tai-Pengs, Geburt gestorben sei. Trotz seines Reichtums war Chen im Alter von zweiundvierzig Jahren im Gefängnis gestorben. Ein Richter hatte ihn dort eingewiesen, um ihn daran zu hindern, das Erbe seines Vaters anzutreten.
     
    »Geschäftsleute sind stolz auf ihre List und Tücke,
    aber im Tau haben sie noch immer viel zu lernen.
    Sie sind stolz auf ihre Ausbeutereien,
    wissen aber nicht, was sie dem Körper damit antun.
    Warum lernen sie nichts vom Herrn der Finsteren Wahrheit,
    der die ganze Welt in einer kleinen Jadeflasche sah?
    Und dessen reine Seele frei war von Himmel und Erde,
    weil die Fahrt zur Börse ihm die Freiheit brachte?«
     
    Tai-Peng machte eine Pause, um seinen Becher zu leeren, und hielt ihn von sich, um ihn wieder füllen zu lassen.
    Einer der Zuhörer, ein schwarzer Mann namens Tom Turpin, sagte: »Wein is alle. Wie war’s mit ein bißchen Schnaps?«
    »Kein Göttertrunk mehr? Euren Barbarensaft will ich nicht. Wo Wein belebt, macht er nur dumm!«
    Tai-Pen schaute sich um, lächelte wie ein Tiger während der Paarungszeit, hob Wen-Chün vom Boden auf und strebte mit ihr seiner Hütte entgegen.
    »Wenn der Wein zu Ende geht, soll man mit den Frauen anfangen!«
    Die hellglänzenden Blätter und Blüten fielen raschelnd zu Boden, als Wen-Chün sich spottend gegen ihren Mann zur Wehr setzte. Tai-Peng sah in diesem Augenblick aus wie ein Faun aus einem alten Mythos, ein Pflanzenmensch, der eine Menschfrau entführte.
    Die anderen lachten, und die Gruppe begann sich zu zerstreuen, noch ehe Tai-Peng die Tür seiner Hütte geschlossen hatte. Einer der Zuhörer schritt um den Hügel herum zu seiner eigenen Hütte. Nachdem er sie betreten hatte, verriegelte er die Tür und ließ Bambusrollladen vor den Fenstern herab. Im nun herrschenden Dämmerlicht nahm er auf einem Stuhl Platz, öffnete den Deckel seines Grals, saß eine Weile da und starrte ihn an.
    Ein Mann und eine Frau gingen nahe an der Tür vorbei und unterhielten sich über einen rätselhaften Zwischenfall, der sich vor weniger als einem Monat flußabwärts zugetragen hatte. Ein großes, lärmerzeugendes Ungeheuer war in der Nacht über den westlichen Bergen erschienen und auf dem Fluß niedergegangen. Die mutigeren – oder närrischeren – der Talbewohner waren mit Booten zu ihm hinausgerudert, aber das Ungeheuer war, ehe sie nahe genug herangekommen waren, gesunken und nicht wieder aufgetaucht.
    Ob es ein Drache gewesen war? Manche Leute sagten, es habe niemals Drachen gegeben, aber diese gehörten gemeinhin den Skeptikern des degenerierten neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts an. Abgesehen von Narren müsse doch jeder wissen, daß Drachen existierten. Andererseits könne es sich natürlich auch um eine Flugmaschine derjenigen gehandelt haben, die diese Welt erschaffen hatten.
    Außerdem sage man, manche hätten eine menschenähnliche Gestalt von dem Drachen wegschwimmen sehen. Zumindest hatten sie es sich eingebildet.
    Der Mann in der Hütte lächelte.
    Er dachte an Tai-Peng. Das war nicht sein richtiger Name. Nur Tai-Peng und ein paar andere wußten, wie er wirklich hieß. Der Name, den er angenommen hatte, bedeutete »Der große Phoenix« und war eine Anspielung auf die Zeit seines irdischen Daseins, während dem er oft damit geprahlt hatte, ein solcher zu sein.
    Tai-Peng hatte ihn vor langer Zeit getroffen, aber das wußte er nicht.
    Der Mann in der Hütte sagte ein Kodewort. Augenblicklich wurde die Oberfläche des Grals von Helligkeit erfüllt, die jedoch nicht die ganze Hülle einnahm. Auf dem grauen Metall erschienen zwei sich gegenüberliegende, große Kreise. Im Innern der Kreise, die die beiden Hemisphären dieses Planeten symbolisierten, befanden sich Tausende dünner, leuchtender und verschlungener Linien, die von vielen kleinen, blitzenden Kreisen überlagert wurden. Diese Kreise waren
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