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Das dunkle Fenster (German Edition)

Das dunkle Fenster (German Edition)

Titel: Das dunkle Fenster (German Edition)
Autoren: Andrea Gunschera
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Shalev.
    „Fabio ist seither verschwunden“, übernahm Simmenauer das Wort. „Es gibt keine Hinweise auf seinen Aufenthaltsort oder darauf, dass er überhaupt noch am Leben sein könnte. Wir haben die Akte geschlossen.“
    „Vorläufig“, murmelte Shalev.
    Simmenauer warf ihm einen Blick zu, dann sah er Katzenbaum an. Lev hatte das vage Gefühl, dass er in diesem Raum der Einzige war, dem eine wichtige Information entgangen war.
    „Vorläufig“, wiederholte der kleine Mann, „vorläufig, allerdings. Und jetzt machen wir sie eben wieder auf.“ Er griff nach der Thermoskanne, um sich Kaffee nachzuschenken.
    Katzenbaum betrachtete die blaustichige Schwarzweiß-Fotografie, die noch immer vom Projektor an die Wand geworfen wurde. Die Aufnahme zeigte ein Gesicht im Halbprofil, aufgenommen von schräg oben.
    Shalev stellte die Thermoskanne schwungvoll zurück auf den Tisch. „Adi?“, fragte er.
    Simmenauer nickte. „Wie ich schon sagte, hat mich gestern Nacht Andrew Stuart aus Langley angerufen. Er hatte eine Information für mich, quasi ein inoffizieller Gefallen. Einer ihrer Leute hat aufgeschnappt, dass jemand den Maler Nico Delani in einem libanesischen Bergkaff gesehen haben will.“
    Katzenbaum zog die Brauen hoch, sagte aber nichts.
    „Ich habe diesen Augenzeugen bereits überprüfen lassen“, fuhr Simmenauer fort. „Es ist eine Frau namens Azizah Abourjeili, fünfundzwanzig Jahre alt. Sie studiert Kunstgeschichte in Mailand, neuntes Semester, hat gute Noten. Ihre Aufenthaltsgenehmigung läuft für dieDauer des Studiums, sie besitzt einen libanesischen Pass und besucht ein- bis zweimal im Jahr ihre Eltern. Sie leben in einem Dorf namens Hawqa. Keine offensichtlichen Verbindungen zu extremistischen Gruppen. Scheint eine ganz normale intellektuelle Familie zu sein.“
    „Und wie“, fragte Katzenbaum, „kommt sie darauf, Nico Delani gesehen zu haben?“
    „Das versuchen wir noch herauszufinden.“
    „Ein Geist kehrt zurück“, murmelte der Vizedirektor.
    Hoffentlich nicht, dachte Katzenbaum.
    „Wir müssen dem auf jeden Fall nachgehen“, sagte Shalev. „Sollte etwas an den Informationen dran sein, dann kriegen wir vielleicht eine zweite Chance.“ Seine Augen funkelten hinter den Brillengläsern.
    Zu viele lose Enden, dachte Katzenbaum. Sie hatten zu viele lose Enden zurückgelassen. Die Vorstellung, das alles wieder aufzunehmen und den Fall abzuschließen, vier Jahre später, elektrisierte und beunruhigte ihn gleichzeitig. Und er wusste, Binyamin musste es ähnlich gehen. Oft hatten sie darüber diskutiert, ob die Operation Wüstenwind gerechtfertigt gewesen war. Blutvergießen im Namen der Gerechtigkeit. Fabio kannte die Antworten, musste sie kennen, aber Fabio hatte sich in Luft aufgelöst.
    „Ein libanesisches Bergkaff, ja?“, fragte Katzenbaum.
    Shalev nickte.
    „Na schön. Wie gehen wir jetzt vor?“
    „Wir rollen den Fall wieder auf.“ Shalev zögerte einen Moment. „Lev, ich hatte gehofft, dass du das übernimmst.“
    Katzenbaum lehnte sich in seinem Stuhl zurück.
    „Für den Anfang brauchen wir Informationen“, fuhr Shalev fort. „Wir werden herausfinden, was genau diese Studentin gesehen hat. In der Zwischenzeit kannst du dich ja mal mit der Topologie von Hawqa vertraut machen.“
    Katzenbaum holte tief Luft. Abermals starrte er auf die Projektion an der Wand. Kurzgeschnittenes Haar, gerade Nase, markante Wangenknochen, an der Schläfe zwei kleine Leberflecke – ein Gesicht wie tausend andere. Noch dazu in einem Winkel aufgenommen, der kaum für ein Fahndungsfoto taugte. Es war das einzige Bild, das sie von Fabio besaßen. Und von Nico Delani, dem Maler, existierte ebenfalls keine einzige Aufnahme, obwohl zig Kunstmagazine seine Gemälde abgedruckt hatten.
Er ist exzentrisch, er möchte nicht fotografiert werden
.
    Katzenbaum schob seinen Stuhl zurück und stand auf.
4 Hawqa | Libanon
     
    Am schönsten war der Wadi Qadisha in den frühen Morgenstunden, wenn die Nacht einer dunkelblauen Dämmerung wich und schließlich die Sonne hinter den Bergen aufstieg. Um diese Zeit war es kühl, der Wind angenehm und auf den Gräsern sammelte sich Tau.
    Nikolaj hatte es sich angewöhnt, in den Sommermonaten lange vor Sonnenaufgang aufzustehen. Draußen war es dunkel, während er Tee aufbrühte und dann in bequeme Kleidung schlüpfte, um seine tägliche Laufstrecke zu absolvieren. Hinter dem Haus begann ein Ziegenpfad, der früher wohl als Auftrieb zu den höher gelegenen Weiden genutzt
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