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Das dunkelste Blau

Das dunkelste Blau

Titel: Das dunkelste Blau
Autoren: Tracy Chevalier
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braunen Augen geweitet. Sie hatte das schmale Gesicht und das spitze Kinn ihres Vaters.
    – Was hast du gemacht?
    – Ihn mit einem Stock weggejagt. Sie lächelte, mit sich zufrieden.
    – Isabelle –
    – Was?
    – Ich weiß, daß Maman wütend ist, aber ich freue mich, daß du zu uns kommst. Ich habe nie geglaubt, was sie über dich sagen, über deine Haare und über – Sie hielt inne. Isabelle fragte nicht.
    – Und du wirst hier sicher sein. Das Haus ist sicher, es wird beschützt von – Sie hielt wieder inne, sah zur Tür und senkte den Kopf. Isabelle ließ ihre Augen auf den schattigen Kuppen der fernen Hügel ruhen.
    So wird es immer sein, dachte sie. Schweigen in diesem Haus.
    Die Tür ging auf, und Jean und Etienne kamen mit einer flackernden Fackel und einer Axt heraus.
    – Wir bringen dich zurück, La Rousse, sagte Jean. Ich muß mit deinem Vater sprechen.
    Er gab Etienne ein Stück Brot.
    – Eßt dieses Brot gemeinsam und gib ihr deine Hand.
    Etienne riß das Brot in zwei Teile und gab Isabelle den kleineren. Sie steckte es in den Mund und legte ihre Hand in seine. Seine Finger waren kalt. Das Brot klebte ihr in der Kehle wie ein Flüstern.
    Petit Jean wurde in Blut geboren und war ein mutiges Kind.
    Jacob wurde blau geboren. Er war ein stilles Kind: Auch als Hannah ihm einen Klaps auf den Rücken gab, um ihn zum Atmen zu bringen, schrie er nicht.
    Isabelle lag wieder im Fluß, viele Sommer später. Ihr Körper war von den beiden Jungen gezeichnet, und ein weiteres Kind schob ihren Bauch über das Wasser. Das Baby strampelte. Sie legte die Hände über die Wölbung.
    – Bitte, heilige Mutter Gottes, mach, daß es ein Mädchen wird, betete sie. Und wenn sie geboren ist, will ich sie nach dir und nach meiner Schwester taufen. Marie. Gegen alle will ich es durchsetzen, sie so zu nennen.
    Diesmal gab es überhaupt keine Warnung, keine Glocken, nicht das Gefühl eines Blickes auf ihr. Er war einfach da, hockte auf dem Felsen im Fluß. Sie setzte sich auf und sah ihn an. Sie bedeckte ihre Brüste nicht. Er sah genauso aus, ein wenig älter, mit einer langen Narbe auf der rechten Seite seines Gesichtes, die vom Backenknochen bis zum Kinn reichte und den Mundwinkel berührte. Diesmal hätte sie zurückgelächelt, wenn er sie angelächelt hätte. Er lächelte nicht. Er nickte einfach in ihre Richtung, wölbte die Hände, spritzte sich Wasser ins Gesicht, drehte sich dann um und ging in Richtung der Flußquelle davon.
    Marie wurde in einer Flut klarer Flüssigkeit geboren und hatte die Augen offen. Sie war ein hoffnungsvolles Kind.

2. Der Traum
    Als Rick und ich nach Frankreich zogen, dachte ich mir schon, daß mein Leben sich ein wenig ändern würde. Ich wußte bloß nicht, wie.
    Zunächst erschien uns das neue Land wie eine festlich gedeckte Tafel, an der wir jedes Gericht probieren wollten. In unserer ersten Woche, während Rick sich in seinem neuen Büro einrichtete, frischte ich mein Schulfranzösisch etwas auf und ging auf Entdeckungsfahrt in der ländlichen Gegend um Toulouse herum, um uns einen schönen Ort zum Wohnen zu suchen. Wir wollten in eine kleine Stadt mit Charme ziehen. Ich sauste in einem neuen grauen Renault die schmalen Straßen entlang, an langen Reihen von Platanen vorbei. Manchmal, wenn ich in Gedanken versunken war, glaubte ich fast, ich wäre in Ohio oder Indiana, aber die Gegend wurde wieder unverwechselbar, wenn ich eins von den Häusern mit rotem Ziegeldach, grünen Fensterläden und Blumentöpfen voller Geranien sah. Überall standen Bauern in blauen Arbeitshosen auf den aprilgrün überhauchten Feldern und sahen zu, wie mein Auto vorbeifuhr. Ich lächelte und winkte; manchmal winkten sie zögernd zurück. »Wer war das denn?« fragten sie sich wahrscheinlich.
    Ich sah viele Ortschaften und entschied mich gegen alle, zum Teil aus nichtigen Gründen, aber letztendlich weil ich einen Ort suchte, der mich sofort ansprechen würde, wo ich ohne Zweifel wissen würde, daß die Suche vorbei war.
    Ich kam nach Lisle-sur-Tarn, indem ich eine lange schmale Brücke über den Fluß Tarn überquerte. Eine Kirche und einCafé markierten die Ortsgrenze. Ich parkte in der Nähe des Cafés und ging zu Fuß weiter; als ich die Ortsmitte erreicht hatte, wußte ich, daß wir hier wohnen würden. Es war eine bastide , eine befestigte Stadt, deren Anlage aus dem Mittelalter erhalten geblieben war; immer wenn es in mittelalterlichen Zeiten Invasionen gegeben hatte, hatten die Einwohner sich auf dem
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