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Das dritte Leben

Das dritte Leben

Titel: Das dritte Leben
Autoren: Alexandra Cordes
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ein bißchen unsicher und nervös.
    Richard stand auf. »Aber natürlich«, sagte er, »ich gehe und überlasse dich deinem Genesungsschlaf.«
    Er beugte sich über sie und küßte ihre trockenen, spröden Lippen.
    Plötzlich schlang sie die Arme um seinen Hals. »Ich bin so froh, daß dir nichts passiert ist.«
    »Aber natürlich«, sagte er verlegen.
    »Und, du, ich hab' dich immer noch sehr gern. Mehr noch als früher, glaube ich.«
    »Aber ja –.« Er lachte. Seine Kehle war wie zugeschnürt. Warum sagte sie das?
    »Ich sehe später noch mal rein«, sagte er. »Ich muß noch zur Polizei wegen des Unfalls, und dann muß ich auch ins Büro, um nach dem Rechten zu sehen. Heute abend komme ich wieder, ja?«
    Sie nickte und schloß die Augen. Er ging zur Tür, trat auf den Flur hinaus. Zum ersten Mal in seinem Leben wußte Richard Gertner nicht, was er von der Frau, mit der er seit vierundzwanzig Jahren verheiratet war, zu halten hatte.
    »Du bist so schweigsam«, sagte Irene Wiegand zu ihrem Mann.
    Er blickte von seinem Teller auf und lächelte verbindlich, wie er es immer tat, wenn er nicht zugehört hatte.
    »Ich sehe es – du bist wieder in den Gefilden deiner Forschungen, nicht wahr?«
    Wiegand streckte seine Hand aus und streichelte in einer Geste, die zugleich Zärtlichkeit und Ungeduld verriet, den Arm seiner Frau.
    »Ich denke tatsächlich über mein neues Laboratorium in Grünwald nach. Weißt du, ich käme doch ganz gut aus, wenn ich es nur bei den beiden großen Räumen, wie zuerst geplant, beließe. Dann brauchte ich nicht das Geld deines Vaters –«
    »Aber Matthias!« unterbrach Irene ihn und begann zu lachen. »Du tust ja geradeso, als wäre mein Vater ein Wildfremder. Oder als hättest du noch nie von ihm Geld genommen«, fügte sie in der für sie charakteristischen Offenheit hinzu.
    »Gewiß –«, gab er zu, aber sie unterbrach ihn wieder. »Du mußt wirklich damit aufhören, dir wegen dieser Lappalien Gedanken zu machen«, sagte sie mit Bestimmtheit. »Du bist ein großer Arzt, ein erfolgreicher Chirurg, ein besessener Forscher. Du solltest überhaupt nicht danach fragen, woher das Geld kommt. Habe ich kein Geld? Hat meine Familie kein Geld? Und letzten Endes – hast du selbst kein Geld?«
    »Nicht genug für diese kostspieligen Forschungen«, erwiderte er.
    »Und wenn schon! Du brauchst dich doch wirklich nicht darum zu kümmern. Mein Gott, es spielt doch keine Rolle, ob es dein oder mein Geld ist – es ist unser Geld. Ich bin stolz auf dich, weil du ein großer Arzt bist – und weil du ein Mann bist, der Mann, den ich liebe, und ich hoffe auch, daß du ein wenig stolz auf mich bist –«
    Jetzt unterbrach er sie: »Ja, aber nicht, weil du eine Million mitgebracht hast.«
    »Nun hör schon auf! Das weiß ich doch.« Ihre Stimme wurde dunkel. »Ich weiß, weshalb du mich geheiratet hast. Weil ich gut war, nicht wahr, weil ich so gut im Bett war – oder ist es nicht so?«
    »Genau so ist es«, sagte er und schob seinen Teller weg. Irene lächelte. Dieses Lächeln, das für ihn die Kälte eines Eisbergs und die Hitze eines Vulkans vereinte. »Na also«, sagte sie. »Und was dein Laboratorium betrifft – ich fahre heute nachmittag nach draußen und werde mich um alles kümmern. Und es bleibt so, wie Papa es für gut befunden hat. Schließlich hat er sich mit deinen Plänen einverstanden erklärt. Und zudem ist er auch sehr stolz auf deine Forschungen.«
    »Ja, weil er glaubt, daß ich eines Tages den Nobelpreis erhalte«, sagte Wiegand sarkastisch.
    »Und?« fragte Irene sanft. »Wäre das keine schöne Krönung deiner Laufbahn?«
    Auf dem Weg in die Klinik dachte Wiegand: Was wäre wohl aus mir geworden, wenn ich die Baronesse Irene von Bodenheim nicht getroffen hätte? Und was würde wohl aus mir, wenn ich sie verlöre? Wenn ich ihre Achtung und ihre Liebe und sie selbst verlöre? Gäbe es ein drittes Leben?
    Was würde sie tun, wenn sie je erführe, was damals, vor so vielen Jahren geschah?
    Er hielt am Englischen Garten. Stieg aus.
    Herbstwind fuhr durch sein Haar. Er stieß die Hände in die Taschen seines Mantels.
    Vergilbtes Laub raschelte unter seinen Füßen. Regen nieselte dünn herunter. Er merkte es nicht. Er spürte nichts, hörte nichts, sah nichts. Dachte nur daran, wie es damals gewesen war, als er Alexa verlassen und Irene getroffen hatte.
    Mit einem Pappkarton unter dem Arm und einem schlechten Gewissen unter dem einzigen Hemd, das er besaß und am Leib trug.
    Die
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