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Das dritte Leben

Das dritte Leben

Titel: Das dritte Leben
Autoren: Alexandra Cordes
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bleichem Gesicht, ein zögerndes Lächeln auf den Lippen.
    »Und was macht Oma hier?« fragte Richard betont forsch.
    »Du meinst wohl, ich habe Knöpfe vor den Augen«, sagte die Oma kampfeslustig. »Ich habe doch gleich gemerkt, daß bei euch hier in München etwas nicht stimmt, und da bin ich –«
    »Alles stimmt, Omi! Es stimmt doch alles!« rief Sabine. »Schau Vati an – du siehst es doch.«
    Sie drängten ihn in die Diele. Alle wollten sie ihm aus dem Mantel helfen.
    Richard sah Hilde fragend an. Sie nickte. »Sabine weiß, wo du warst«, sagte sie.
    Richard nahm seinen Wochenendkoffer, trug ihn in die Wohnhalle, klappte den Deckel auf.
    »Sabine?«
    Sie war an seiner Seite. Er nahm das kleine Kartonschild heraus. Gab es ihr.
    Alle Farbe wich aus ihrem Gesicht. »Nein …«, murmelte sie.
    »Doch!« Richard schloß ihre Hand um das Kartonschildchen. »Es gehört dir. Du bist für mich immer Sabine gewesen – und du wirst es immer sein.« Er schluckte. »Die andere …« Das Lachen, wie schwer es ihm fiel. »Die andere – ist Sanja.«
    Sie sah zu ihm auf, blickte ihn mit ihren großen honiggelben Augen an. »Ehrenwort?« fragte sie wie ein kleines Kind.
    »Ganz großes Ehrenwort.«
    Sabine preßte das Kartonschildchen an ihre Brust. »Wenn es so ist – dann will ich es auch behalten.«
    Hilde sah Richard mit weiten Augen an.
    »Es ist … Ich habe … das Essen wartet schon …«, stieß sie hervor.
    Es gab Teufelssalat und gegrillte Forellen, Käsetrüffel und Roquefortcreme, seine Lieblingsgerichte.
    Sie tranken. Es war die letzte Flasche Chambertin, den sie im vergangenen Jahr aus Burgund mitgebracht hatten.
    »Im Sommer bringen wir wieder neuen mit, ja, Vati?« fragte Sabine, als sie das letzte Glas getrunken hatten.
    »Ja, im Sommer fahren wir wieder nach Burgund«, versprach er.
    Draußen klingelte es, anhaltend und stürmisch. Richard blickte verwundert auf. Sabine wurde rot. Sie hob die Schultern. »Ich habe ihm gesagt, er soll nicht so früh kommen.«
    »Wer ist er?«
    »Hellmut.«
    »Ach – natürlich. Laß den Jungen sofort rein, oder willst du, daß er sich erkältet?«
    Sabine sprang auf und lief nach draußen.
    Sie lagen im Bett und konnten nicht schlafen.
    »Wie sieht sie aus?« fragte Hilde leise.
    Richard blickte zur Decke hoch, auf der sich ein Lichtkringel von der Laterne draußen vor dem Haus abzeichnete.
    »Schön. Sie ist ein sehr schönes Mädchen, unsere Tochter.«
    Schweigen.
    Dann: »Werden wir sie – werde ich sie jemals –«
    »Nein«, sagte Richard fest. »Wir werden sie nie wiedersehen. Sanja gehört dorthin, zu den Menschen, die sie großgezogen haben und die sie für ihre Eltern hält. Sabine ist unsere Tochter. Und sie wird bei uns bleiben.«
    »Ja«, sagte Hilde.
    Sie drehte sich auf die Seite. Richard spürte, daß sie ihn in der Dunkelheit ansah. »Hast du mir verziehen?« fragte sie, kaum hörbar.
    »Natürlich.«
    Wieder Schweigen.
    »Berglund hat angerufen. Er möchte, daß wir nicht weiter … Er meint, er will sich wieder mit seiner Frau aussöhnen.«
    »Und Wiegand?«
    »Berglund war hier in München und hat ihn zur Rede gestellt. Aber die Frau des Professors, sie hat ihm auch verziehen.«
    »Woher weißt du es?«
    »Wiegand hat – ich habe ihn getroffen.«
    Richard fuhr hoch. »Wie?«
    »Bitte, es war – er bat mich so herzlich darum. Er hat – er wird von seinem Gewissen gepeinigt. Er wollte wissen, ob er etwas für Sabine tun kann.«
    »Das kann doch nicht wahr sein!«
    »Bitte. Er leidet wirklich. Ich habe ihm gesagt, daß er etwas tun kann.«
    »So?«
    »Ja. Ich habe ihn aufgefordert, fünfzigtausend Mark an das Deutsche Rote Kreuz zu überweisen.«
    Richard pfiff durch die Zähne. Das war etwa die Summe, die Wiegand als Alimente an Alexa hätte zahlen müssen, wenn –
    Richards Hand tastete nach Hildes Hand. »Du bist eine kluge und ein klein wenig auch – gerissene Frau«, sagte er anerkennend.
    »Ein bißchen soll er es schon spüren«, sagte Hilde.
    Ein bißchen spüren, dachte Richard.
    Wir allen werden es ein bißchen spüren, unser Leben lang.
    Nur ein Mensch nicht – meine Tochter.
    Meine Tochter Sanja in Danzig. Sie wird glücklich sein, und nie wird ein Schatten ihr Leben trüben. Das glaube und hoffe ich.
    Draußen brummte ein Motor auf, erstarb. Automatisch blickte er auf die Uhr. Es war genau zwölf Uhr.
    »Sabine«, sagte Hilde. »Hallig bringt sie nach Hause.«
    »Pünktlich ist sie jedenfalls«, stellte Richard
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