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Das Dorf der verschwundenen Kinder

Das Dorf der verschwundenen Kinder

Titel: Das Dorf der verschwundenen Kinder
Autoren: Reginald Hill
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zerriß.
    Er flüsterte Wield etwas zu, woraufhin der in seiner Akte wühlte und die Landkarte hervorzog, die er damals von Dendale gezeichnet hatte. Mit fragend hochgezogenen Augenbrauen reichte er sie Pascoe. Und der zeigte ihm, was er in der anderen Hand hielt.
    Augenblicklich fühlte Wield sich auf den sonnenhellen Berg zurückversetzt. Vor ihm breitete sich das Tal aus wie das Gelobte Land, hinter ihm waren die tausend Jahre alten Steine des Schafpferchs, neben ihm stand der dunkle, sehnige Schäfer, den Hund gehorsam zu seinen Füßen, und durch die gleißende Luft ertönte der Gesang der Lerchen und das Blöken der zusammengetriebenen Schafe …
    Du dreckiger Mistkerl! dachte Wield, als ihm klarwurde, daß die toten Schafe schon damals benutzt wurden, um die Leichen der Mädchen zu verbergen. Ein anderer Mann, ja, aber derselbe Trick!
    Wie ein Zauberer hielt Pascoe die Landkarte in die Höhe, daneben die CD , und dann drehte er die CD um 45 Grad, so daß das Profil des gezeichneten Gesichts zu den Umrissen der Berge von Dendale wurde und die Sonne vor den Noten senkrecht auf die Stelle schien, die vormals der Mund des Mädchens gewesen war.
    Pascoe wußte nun, was diese Noten aus seinem Mund bedeuteten. Ellie hatte sich an das Gespräch der beiden Radiomoderatoren an jenem Sonntag morgen erinnert, der mittlerweile eine Million Jahre entfernt schien.
    »Mahlers Zweite ist als ›Auferstehungssinfonie‹ bekannt«, hatte sie ihm erzählt. »Es geht darin um die Auferstehung der Toten, um göttliches Gericht. Die Notenzeile ist der Beginn des Auferstehungsthemas, und es gab jede Menge Spekulationen darüber, warum sie ausgerechnet das verwendet hat und nichts aus den Liedern selber.«
    Tja, die Spekulationen waren nun vorbei.
    Er hielt Elizabeth die CD dicht vor die Augen.
    »Ich glaube, Sie haben bereits gesagt, wo Mary und die anderen sind, Betsy«, sagte er. »Ich glaube, Sie haben sich jahrelang danach gesehnt, es jemandem zu sagen. Sie wollen, daß es vorbei ist, wollen endlich vorwärts gehen, nicht wahr? Aber Sie wissen, daß es ohne Auferstehung keine Hoffnung auf Buße und Erneuerung gibt. Das ist es, was Sie uns sagen wollen, stimmt’s, Betsy? Wir holen sie ein auf jenen Höh’n im Sonnenschein. Der Tag ist schön auf … Beulah Height.«
    Und obwohl sehr wenig körperliche Veränderung möglich war, sah es so aus, als würde Elizabeth Wulfstan zu Betsy Allgood zusammenschrumpfen, die müde auf ihrem Stuhl saß und weinte.

Einundzwanzig
    O bwohl Pascoe sie nur einmal gehört hatte, bekam er den Text der Lieder nicht aus seinem Kopf. Die Worte ertönten, während er im Bett lag, und sie waren immer noch in ihm, als er sich am nächsten Morgen den Berg hocharbeitete.
    Oh, yes, they’ve only gone out walking,
Returning now, all laughing and talking.
    Die Männer, die neben ihm den Hang absuchten, lachten und redeten nicht. Es war bereits so warm, daß sie unter ihrer Last von Hacken und Schaufeln schwitzten, auch wenn die Sonne noch nicht so hoch gestiegen war, um das ganze Tal zu beleuchten. Doch die Ostseiten der beiden Gipfel von Beulah Height dort oben glänzten bereits golden.
    We’ll catch up with them on Beulah Height
In bright sunlight.
The weather’s bright on Beulah Height.
    Nun waren sie nah genug, den Schafpferch zu erkennen – ein steinerner Halbkreis, der gegen den zerklüfteten Abhang des Berggrats errichtet worden war.
    Noch immer sprach niemand ein Wort. Sie bewegten sich wie in einem Traum und brauchten keine Anweisungen, als sie oben ankamen, sondern verteilten sich wie nach einer gut geprobten Choreographie auf dem Abhang und schwangen ihre Hacken, um auf schwache Stellen in diesem offenbar festen Untergrund zu stoßen.
    Dreimal holten sie aus, und dreimal stießen sie zu, und beim dritten Mal geschah etwas Seltsames.
    Funken stoben, als Metall auf Granit traf, und mit einem Mal schien sich die Luft zu entzünden, als eine leuchtende Lava aus Sonnenlicht den Grat hinunter in den Pferch rann.
    Zur selben Zeit schwang ein riesiger Felsblock auf wie das Tor einer Festung.
    Die Männer wichen erstaunt zurück. Und erschrocken. Nur Pascoe blieb stehen und starrte so angestrengt in das schwarze Loch, daß seine Einbildung ihm nach einer Weile Bewegung vorgaukelte.
    Einbildung? Nein, das war keine Einbildung. Da drin bewegte sich tatsächlich etwas. Er konnte im Dunkeln die Schatten erkennen, kleine Gestalten, die langsam auf das Licht zustrebten.
    Und nun war die erste weit genug,
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