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Das Dorf der verschwundenen Kinder

Das Dorf der verschwundenen Kinder

Titel: Das Dorf der verschwundenen Kinder
Autoren: Reginald Hill
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Morgen in eine Welt voller Wärme und Licht zurückkehrte, während der andere in Ketten lag, umgeben von Dunkelheit und kaltem Wasser.
    Pascoe sagte: »Er hat also niemals geredet. Und Sie haben ihn sterben lassen.«
    »Ja«, antwortete Wulfstan. »Ich bin nicht sicher, ob ich das so wollte. Ob ich dazu fähig gewesen wäre. Aber ich mußte für ein paar Tage weg und kam erst an dem Tag zurück, an dem Elizabeth … Betsy vermißt wurde. Als sie sie fanden und ich die Geschichte hörte, daß sie in der Nähe von Neb Cottage von Benny Lightfoot angegriffen worden war, dachte ich … Ich weiß nicht, was ich dachte, aber zum Teil war ich erleichtert, weil er sich anscheinend befreit hatte … weil er am Leben war. Am nächsten Abend ging ich zu Heck. Das Wasser war beträchtlich gestiegen. Ich erkannte sofort, daß er sich nicht befreit hatte, aber er muß mit übermenschlicher Anstrengung versucht haben, die Kette aus der Wand zu reißen … Ich konnte einen Arm von ihm sehen, der aus dem Kellerloch in das Wasser darüber ragte. Ein Mauerteil über der Eingangsöffnung war zusammengebrochen und hatte sie verschüttet. Ich griff ins Wasser und berührte seine Haut. Sie war kalt. Ich versuchte, den Arm zurück in den Keller zu stoßen, aber es gelang mir nicht. Also schichtete ich etwas Schutt darauf und ging weg.«
    »Was für ein Gefühl hatten Sie dabei?« fragte Pascoe. »Wo Sie doch wußten, daß Sie ihn umgebracht hatten.«
    Wulfstan dachte darüber nach und schürzte dabei die Lippen, als versuchte er, einen ungewohnten Geschmack zu identifizieren oder einen seltenen Wein.
    »Traurig«, antwortete er schließlich.
    »Traurig, daß Sie ihn umgebracht hatten?«
    »Traurig, daß er starb, ohne mir zu sagen, was ich wissen wollte.«
    Pascoe schüttelte den Kopf, nicht vor Abscheu, sondern voller Mitleid. Er hätte wohl zumindest empört sein müssen, doch das war er nicht.
    Nicht nach den letzten Tagen.
    Dalziel sagte: »Sind Sie fertig, Peter?«
    »Ja.«
    »Ivor, haben Sie noch was zu sagen?«
    Warum war er so erpicht darauf, Novello ihre Theorie weiterspinnen zu lassen? fragte sich Pascoe. Ebenso wie in Fahrzeugen, setzte sich Andy Dalziel auch in Mordfällen niemals auf den Rücksitz.
    »Ja, Sir. Nur eine Kleinigkeit«, sagte Novello. »Ich glaube nicht, daß Sie traurig waren, Mr. Wulfstan. Warum sollten Sie auch, wenn Sie doch erreicht hatten, was Sie wollten? Nun, da der Hauptverdächtige auf mysteriöse Weise verschwunden war, würde niemand mehr Zeit auf eine neuerliche Suche verschwenden, oder?«
    »Suche wonach? Nach meiner Tochter?«
    »Nein! Nach dem wahren Mörder. Denn der lief immer noch frei herum. Und das muß ihn doch richtig glücklich gemacht haben.«
    Sie sprach mit großem Nachdruck, teils aus Verachtung, teils um eine Reaktion zu provozieren. Sie ist so sicher, daß sie recht hat, dachte Pascoe mitfühlend. Sie will unbedingt recht haben! Dies war es, worauf Dalziel aus war. Es gab Lektionen, die man am besten vor Publikum lernt. Dazu gehörte, daß es ganz in Ordnung war, den anderen einen Schritt voraus zu sein, bis man vor lauter Anstrengung, da vorn zu bleiben, einen Schritt zu weit ging.
    »Tja, was sagen Sie dazu, Mr. Wulfstan?« fragte Dalziel in freundlichem Ton. »Könnte das alles vielleicht ein Ablenkungsmanöver gewesen sein, weil von Anfang an Sie es waren, der die Mädchen ermordet hat?«
    Also nicht nur eine Lektion. Der Dicke wollte diesmal ganz sichergehen, daß keine Möglichkeit, so unwahrscheinlich sie auch klingen mochte, ungesagt blieb.
    Wulfstans Gesicht spiegelte weder Entsetzen noch Verletztheit wider, sondern reines Unverständnis, als hätte man ihn in einer fremden Sprache angeredet. Er blickte zu seiner Frau, als suchte er in ihr eine Übersetzerin. Sie schüttelte den Kopf und sagte fast unhörbar: »Das ist widerlich … Superintendent, das ist einfach unmöglich …«
    »Nun, irgend jemand hielt es aber für möglich«, sagte Dalziel. »Hat uns angerufen und geraten, daß wir Mr. Wulfstan genauer unter die Lupe nehmen. Klang wie ’ne Frau. Oder ein Mann mit verstellter Stimme. Wie klingt Ihre Falsettstimme, Mr. Krog?«
    »Zu falsch, um ein Ohr wie das Ihre zu täuschen, Mr. Dalziel«, meinte Krog leichthin.
    Ton, Ausdruck, Körpersprache stimmten überein. Aber es war eine Rolle, erkannte Pascoe. Eine gewählte Antwort, keine natürliche. Es war kaum zu beweisen, aber er hätte seine Weihnachtsgratifikation gewettet, daß der Smörebröd den Anruf
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