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Das Dorf der verschwundenen Kinder

Das Dorf der verschwundenen Kinder

Titel: Das Dorf der verschwundenen Kinder
Autoren: Reginald Hill
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Linken saß, nahm ihre Hand, die schlaff bis fast auf den Boden hing, doch sie erwiderte den Druck nicht, und so ließ er sie nach einer Weile wieder los. Wulfstan drehte nicht einmal den Kopf. Seine ganze Aufmerksamkeit galt Dalziel.
    Machte der Dicke sich tatsächlich Sorgen um die Frau, oder war das nur seine Art, die Schraube um ihren Mann enger anzuziehen? überlegte Pascoe.
    Wahrscheinlich von beidem ein bißchen. Dalziel hatte lange Übung darin, ganze Vogelschwärme mit einem einzigen Stein herunterzubringen.
    »Also gut, dann legen wir die Karten mal auf den Tisch«, sagte er mit der gewinnenden Offenheit eines Glücksspielers, der gezinkte Karten im Ärmel, im Kragen, im Hosenbund und hinter dem Hutband hatte. »Wer fängt an?«
    Schweigen. Was zu erwarten gewesen war. Pascoe fing Wields Blick auf und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Der Sergeant nickte und ging leise zum Ausgang.
    »Lampenfieber, wie?« meinte Dalziel. »Na schön. Detective Constable Novello, warum versuchen Sie nicht, uns auf die Sprünge zu helfen?«
    Gott im Himmel! dachte Novello sowohl flehentlich als auch fluchend.
    Sie hatte voller Spannung beobachtet, wie der Dicke die Sache anging. Würde er mit der Vergangenheit oder der Gegenwart beginnen? Würde er verraten, was sie herausgefunden hatten, oder das meiste zurückhalten und die anderen damit herausrücken lassen?
    Sie hatte sich darauf eingestellt, kritische Anmerkungen zu machen, Anregungen zu geben. Nun stand sie vor der ganzen Klasse und bekam die Kreide in die Hand gedrückt.
    Gott im Himmel, wiederholte sie, diesmal nur als beschwörende Bitte.
    Ihre Gedanken rasten zwischen dem angeketteten Skelett, den blauen Briefbogen, Barney Lightfoots Geschichte und Geordie Turnbulls Geständnis hin und her.
    Dann dachte sie, das hängt alles mit der Vergangenheit zusammen. Scheiß auf die Vergangenheit! Der dicke Andy mag darin verhaftet sein, ich aber nicht. Der Fall, an dem ich arbeite, ist der Mord an Lorraine Dacre, sieben Jahre.
    Sie sagte: »Mr. Wulfstan, gibt es etwas, das Sie Ihrer Aussage über den Besuch in Danby letzten Sonntag hinzufügen möchten?«
    Sie konzentrierte sich ganz auf Wulfstans hagere Gesichtszüge, teils um dem Drang zu widerstehen, Anerkennung in Dalziels Blick zu suchen, andererseits aber auch, um jedes verräterische Zucken registrieren zu können. Eine Emotion huschte wie ein Nebelschleier über seine passiven Züge, doch sie konnte ihre Bedeutung nicht erkennen. Am ehesten sah sie aus wie … Erleichterung?
    Er sagte: »Wie ich Mr. Dalziel gesagt habe, stieg ich den Leichenpfad hinauf und stand eine Weile oben, um mir Dendale anzusehen.«
    »Und dann?«
    »Dann, als ich mich umdrehte, um wieder in Richtung Danby zu gehen, blickte ich über den Grat zum Neb. Und ich sah einen Mann.«
    »Einen Mann? Was für einen Mann? Das haben Sie in Ihrer Aussage nicht erwähnt. Warum nicht?«
    Er berührte mit der Hand sein Gesicht, als müsse er sich vergewissern, daß er aus Fleisch und Blut bestand.
    Dann sagte er leise: »Weil es Benny Lightfoot war.«
    Novello schnaubte verärgert. Wollte der Mistkerl sie verarschen? Sich hinter der ganzen BENNY IST WIEDER DA !-Hysterie verschanzen? Nun, sie besaß die nötigen Mittel, ihm diesen lächerlichen Schild wegzustoßen!
    Mit vor Sarkasmus triefender Stimme entgegnete sie: »Sie haben Benny Lightfoot gesehen? Tja, das muß wirklich ein ganz schöner Schock gewesen sein, Mr. Wulfstan. Wo Sie doch als einziger Mensch ohne jeden Zweifel wissen, daß er tot ist.«
    Falls sie rundum Schockiertheit und Entsetzen erwartet hatte, wurde sie enttäuscht.
    Wulfstan schüttelte matt den Kopf und wiederholte: »Ich habe ihn gesehen.«
    Die drei Frauen zeigten keine oder kaum eine Regung.
    Und Arne Krog sagte: »Es stimmt. Da war ein Mann.«
    Und zu Wulfstan gewandt fügte er beinahe entschuldigend hinzu: »Ich bin dir gefolgt.«
    Diese Bestätigung irritierte Novello eine Sekunde lang, bis sie die Erklärung fand. Natürlich war da ein Mann gewesen, aber nicht Benny, sondern Barney, der oben am Neb entlanggewandert war, um das Dorf aus der Vogelperspektive zu sehen.
    Wulfstan blickte leicht überrascht zu Krog. Nun ja, es war schon eine Überraschung, wenn man aus unerwarteter Ecke die Erscheinung eines Geistes bestätigt bekam.
    »Was haben Sie dann getan, Mr. Wulfstan?« fragte Novello weiter.
    »Ich ging den Grat entlang, um ihn einzuholen.«
    »Und haben Sie ihn eingeholt?«
    »Nein. Er verschwand.«
    »Sie meinen, wie ein
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