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Das doppelte Rätsel

Das doppelte Rätsel

Titel: Das doppelte Rätsel
Autoren: Karl-Heinz Tuschel
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Verfügung. Ich ordne Alarmbereitschaft an und unterstelle Ihnen den Diensthabenden der Behörde. Erstatten Sie mir Bericht, sobald Sie etwas ermittelt haben. Und — ich drücke Ihnen den Daumen!“ Damit verlosch auch sein Bild.
    Die Männer, die um den Tisch saßen, sahen einander plötzlich erschreckend ähnlich. Auf allen Gesichtern malte sich enttäuschte Müdigkeit, aller Schultern hingen nach vorn. Mit matter Handbewegung forderte der Kommandant endlich Osterriem auf zu sprechen. „Sie haben vorhin so nachdrücklich behauptet, daß unsere Annahme bewiesen sei. Berichten Sie.“
    Kurt Osterriem berichtete von seinem Fund und davon, was es damit für eine Bewandtnis habe, und teilte dann mit: „Wir haben dem automatischen Protokoll folgendes entnommen: Von zehn Uhr dreizehn Minuten zweiundzwanzig Sekunden bis zehn Uhr dreizehn Minuten zweiundfünfzig Sekunden stieg die Aktivität im Reaktor stetig an, wurde jedoch durch die Regelstangen ausgeglichen. Um zehn Uhr dreizehn Minuten zweiundfünfzig Sekunden war der Punkt erreicht, wo die Regelstangen ganz in den Reaktor eingelassen waren, das heißt, normalerweise hätte der Antrieb gleich Null sein müssen. Der Antrieb sank sprunghaft ab, begann aber sofort wieder zu wachsen. Um zehn Uhr vierzehn Minuten eine Sekunde hatte er wieder die alte Stärke erreicht. Dann stieg er innerhalb von zwei Komma drei Sekunden auf fünfzehn g. Wahrscheinlich wurde dadurch die Reibung der mechanisch bewegten Teile des Protokollgeräts zu groß; jedenfalls brannte der Elektromotor, der die Spule antrieb, in diesem Moment durch. Über die weiteren Operationen sagt das Protokoll also nichts.“
    Alle schwiegen. Der Triebwerksingenieur schüttelte den Kopf und sah verbissen auf die Kassette. Die Tatsache war nun freilich nicht mehr anfechtbar, aber darum noch kein bißchen verständlicher. Hier war überhaupt alles unverständlich. Alle Fakten widersprachen nicht nur einander, sondern auch der jahrelangen Erfahrung. Hier wurden Kapazitäten gebraucht, Forscher von Weltruf, aber die hatte man nicht zur Hand und konnte sie auch nicht herholen in der Kürze der Zeit, in der das Problem nun gelöst werden mußte. Was hatte jetzt überhaupt Sinn?
    So ungefähr dachten alle. Auch Pollux war bis an diesen Punkt gekommen, aber nun wußte er plötzlich, daß jetzt alles von ihm abhing, und merkwürdigerweise wußte er auch sofort, wo er, er ganz persönlich, anfangen mußte. „Wie funktioniert denn eigentlich so ein Reaktor?“ fragte er in die Stille hinein.
    Alle starrten ihn verständnislos an. Einige brummten Bemerkungen vor sich hin wie „…wahrhaftig andere Sorgen!“ und „…kein Kindergarten hier!“ und „… soll sich ein Schulbuch schicken lassen!“.
    Aber Pollux schien das nicht zu hören. Er wandte sich direkt an Bernaud, so, als wären die anderen gar nicht im Raum. „Bitte, Genosse Bernaud, erklären Sie mir das!“
    Der Ingenieur schwankte zwischen Wut und Lachen. Obwohl er hier aufgefordert wurde zu schulmeistern, hatte er das unbestimmte Gefühl, daß er selbst geschulmeistert werden sollte. „Ich möchte wirklich wissen, was das für einen Sinn haben soll. Das lernt doch jeder in der Schule! Wir vertun unsere Zeit!“
    Auch die anderen äußerten je nach Temperament ihren Unmut in Gesten und in Worten, als hätten sie nur auf eine Gelegenheit gewartet, sich zu ärgern. Aber der Kommandant, der den Kopf vorgestreckt hatte wie ein Jagdhund, der etwas wittert; hielt seine Augen sehr wach und aufmerksam auf Pollux' Gesicht gerichtet. Der ließ nicht locker. „Was für einen Sinn? Ich weiß nicht … Ich bitte Sie einfach darum … Vielleicht fällt mir dabei etwas ein …“ Die Art, mit der sich Pollux durch diese Begründung in den Vordergrund schob, wirkte nicht so arrogant, wie sie in diesem Bericht vielleicht klingen mag. Jeder andere wäre sicherlich zurechtgewiesen worden, aber bei diesem schüchternen, schwerfälligen Mann rief es nur Verblüffung hervor, zumal nun alle spürten, daß es ihm offenbar wirklich um nichts anderes zu tun war als darum, einer Lösung des Problems näherzukommen.
    Henri Bernaud sah ihn mit einer schwer zu deutenden kindlichen Freundlichkeit an und sagte: „Tun Sie's doch!“ Und so begann er, unlustig zunächst, doch je weiter er fortschritt, desto konzentrierter wurde sein Vortrag. „Das hat man ja alles in der Schule gelernt. Ein Neutron, selbst ein Kernteilchen, dringt in einen Kern von Uran zweihundertfünfunddreißig oder
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