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Das doppelte Lottchen

Das doppelte Lottchen

Titel: Das doppelte Lottchen
Autoren: Erich Kästner
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übrigen
    Palawatsch!«
    Lotte nickt. Plötzlich erschrickt sie. »Das hab’ ich dir noch gar nicht gesagt – vergiß ja nicht, Mutti, wenn sie dich zu Bett bringt, einen Gutenachtkuß zu geben!«
    Luise blickt vor sich hin. »Das brauch’ ich mir nicht
    aufzuschreiben. Das vergesse ich bestimmt nicht!«
    Merkt ihr, was sich anspinnt? Die Zwillinge wollen den Eltern
    noch immer nicht erzählen, daß sie Bescheid wissen. Sie wollen
    Vater und Mutter nicht vor Entscheidungen stellen. Sie ahnen, daß sie kein Recht dazu haben. Und sie fürchten, die Entschlüsse der Eltern könnten das junge Geschwisterglück sofort und endgültig
    wieder zerstören. Aber das andere brächten sie erst recht nicht übers Herz: als wäre nichts geschehen, zurückzufahren, woher sie
    gekommen sind! Weiterzuleben in der ihnen von den Eltern
    ungefragt zugewiesenen Hälfte! Nein! Kurz und gut, es ist eine
    Verschwörung im Gange! Der von Sehnsucht und Abenteuerlust
    geweckte, phantastische Plan sieht so aus: Die beiden wollen die Kleider, Frisuren, Koffer, Schürzen und Existenzen tauschen! Luise will, mit braven Zöpfen (und auch sonst ums Bravsein bemüht), als sei sie Lotte, zur Mutter, von der sie nichts als eine Fotografie kennt,
    »heimkehren«! Und Lotte wird, mit offenem Haar und so lustig und lebhaft, wie sie’s nur vermag, an die Donau zum Vater nach Wien fahren!
    Die Vorbereitungen auf die zukünftigen Abenteuer waren
    gründlich. Die Oktavhefte sind randvoll von Notizen. Man wird
    einander postlagernd schreiben, wenn Not am Mann ist oder wenn
    wichtige unvorhergesehene Ereignisse eintreten sollten.
    Vielleicht wird es ihrer gemeinsamen Aufmerksamkeit am Ende
    sogar gelingen, zu enträtseln, warum die Eltern getrennt leben? Und vielleicht werden sie dann eines schönen, eines wunderschönen
    Tages miteinander und mit beiden Eltern – doch so weit wagen sie kaum zu denken, geschweige denn, darüber zu sprechen.
    Das Gartenfest am Vorabend der Abreise ist als Generalprobe
    vorgesehen. Lotte kommt als lockige, quirlige Luise. Luise erscheint als brave, bezopfte Lotte. Und beide spielen ihre Rollen
    ausgezeichnet. Niemand merkt etwas! Nicht einmal Trude, Luises
    Schulkameradin aus Wien! Es macht beiden einen Mordsspaß,
    einander laut beim eigenen verschenkten Vornamen zu rufen. Lotte schlägt vor Übermut Purzelbäume. Und Luise tut so sanft und still, als könne sie kein Härchen trüben und kein Wässerchen krümmen.
    Die Lampions schimmern in den Sommerbäumen. Die Girlanden
    schaukeln im Abendwind. Das Fest und die Ferien gehen zu Ende.
    An der Tombola werden die Gewinne verteilt. Steffie, das arme
    Hascherl, gewinnt den ersten Preis, die Rollschuhe mit Kugellagern.
    (Besser ein schwacher Trost als gar keiner!)
    Die Schwestern schlafen schließlich, ihren Rollen getreu, in den vertauschten Betten und träumen vor Aufregung wilde Dinge. Lotte beispielsweise wird in Wien am Bahnsteig von einer
    überlebensgroßen Fotografie ihres Vater abgeholt, und daneben steht ein weißbemützter Hotelkoch mit einem Schubkarren voll gefüllter dampfender Palatschinken – brr!
    Am nächsten Morgen, in aller Herrgottsfrühe, fahren in der
    Bahnstation Egern, bei Seebühl am Bühlsee, zwei aus
    entgegengesetzten Richtungen kommende Züge ein. Dutzende
    kleiner Mädchen klettern schnatternd in die Abteile.
    Lotte beugt sich weit aus dem Fenster. Aus einem Fenster des
    anderen Zugs winkt Luise. Sie lächeln einander Mut zu. Die Herzen klopfen. Das Lampenfieber wächst. Wenn jetzt nicht die

    Lokomotiven zischten und spuckten – die kleinen Mädchen würden
    vielleicht im letzten Moment doch noch – .
    Aber nein, der Fahrplan hat das Wort. Der Stationsvorsteher hebt sein Zepter. Die Züge setzen sich gleichzeitig in Bewegung.
    Kinderhände winken.

    FÜNFTES KAPITEL

    Ein Kind auf einem Koffer – Die einsamen Onkeln im »Imperial« –
    Von Peperl und dem untrüglichen Instinkt der Tiere – »Luise« fragt, ob sie in der Oper winken darf – Rechenfehler im Haushaltsbuch –
    Shirley Temple durfte sich ihre eigenen filme nicht ansehen – Herrn Kapellmeister Palffys kompliziertes Innenleben

    München. Hauptbahnhof, Bahnsteig 16. Die Lokomotive steht
    still und ringt nach Luft. In dem Strom der Reisenden haben sich Inseln des Wiedersehens gebildet. Kleine Mädchen umhalsen ihre
    strahlenden Eltern. Man vergißt vor lauter selig gerührtem
    Schwadronieren, daß man ja erst auf dem Bahnhof und noch gar
    nicht daheim ist!
    Allmählich wird der
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