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Das doppelte Lottchen

Das doppelte Lottchen

Titel: Das doppelte Lottchen
Autoren: Erich Kästner
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ziemlich ratlos an. »Ja, aber warum
    sind sie denn dann geschieden?«
    Lotte denkt nach. »Vielleicht waren sie gar nicht auf dem
    Gericht? So, wie Steffies Eltern das wollen?«
    »Warum ist Vater in Wien und Mutti in München?« fragt Luise.
    »Warum haben sie uns halbiert?«
    »Warum«, fährt Lotte grübelnd fort, »haben sie uns nie erzählt, daß wir gar nicht einzeln, sondern eigentlich Zwillinge sind? Und warum hat Vater dir nichts davon erzählt, daß Mutti lebt?«
    »Und Mutti hat dir verschwiegen, daß Vati lebt!« Luise stemmt
    die Arme in die Seiten. »Schöne Eltern haben wir, was? Na warte, wenn wir den beiden einmal die Meinung geigen! Die werden
    staunen!«
    »Das dürfen wir doch gar nicht«, meint Lotte schüchtern. »Wir
    sind ja nur Kinder!«
    »Nur?« fragt Luise und wirft den Kopf zurück.

VIERTES KAPITEL

    Gefüllte Palatschinken, wie entsetzlich! – Die geheimnisvollen Oktavhefte – Schulwege und Gutenachtküsse – Es ist eine Verschwörung im Gange – Das Gartenfest als Generalprobe –
    Abschied von Seebühl am Bühlsee

    Die Ferien gehen dem Ende zu. In den Schränken sind die Stapel
    frischer Wäsche zusammengeschmolzen. Die Betrübnis, das
    Kinderheim bald verlassen zu müssen, und die Freude aufs Zuhause wachsen gleichmäßig.
    Frau Muthesius plant ein kleines Abschiedsfest. Der Vater eines der Mädchen, dem ein Kaufhaus gehört, hat eine große Kiste
    Lampions, Girlanden und viele andere Dinge geschickt. Nun sind die Helferinnen und die Kinder eifrig dabei, die Veranda und den Garten gehörig herauszuputzen. Sie schleppen Küchenleitern von Baum zu Baum, hängen bunte Laternen ins Laub, schlingen Girlanden von
    Zweig zu Zweig und bereiten auf einem langen Tisch eine Tombola vor. Andere schreiben auf kleine Zettel Losnummern. Der
    Hauptgewinn: ein Paar Rollschuhe mit Kugellagern!
    »Wo sind eigentlich die Locken und die Zöpfe?« fragt Fräulein
    Ulrike. (So nennt man Luise und Lotte neuerdings!)
    »Och die!« meint Monika abfällig. »Die werden wieder irgendwo im Gras sitzen und einander an den Händen halten, damit der Wind sie nicht auseinanderweht!«
    Die Zwillinge sitzen nicht irgendwo im Gras, sondern im Garten
    der Försterei. Sie halten einander auch nicht an den Händen – dazu haben sie nicht die mindeste Zeit –, sondern sie haben Oktavheftchen vor sich liegen, halten Bleistifte in der Hand, und im Augenblick diktiert Lotte gerade der emsig kritzelnden Luise: »Am liebsten mag Mutti Nudelsuppe mit Rindfleisch. Das Rindfleisch holst du beim Metzger Huber. Ein halbes Pfund Querrippe, schön durchwachsen.«

    Luise hebt den Kopf. »Metzger Huber, Max-Emanuel-Straße,
    Ecke Prinz-Eugen-Straße«, schnurrt sie in einem Atemzug herunter.
    Lotte nickt befriedigt. »Das Kochbuch steht im Küchenschrank,
    im untersten Fach ganz links. Und in dem Buch liegen alle Rezepte, die ich kann.«
    Luise notiert: »Kochbuch… Küchenschrank… unteres Fach…
    ganz links…« Dann stützt sie die Arme auf und meint: »Vor dem
    Kochen hab’ ich eine Heidenangst! Aber wenn’s in den ersten Tagen schiefgeht, kann ich vielleicht sagen, ich hätt’s in den Ferien verlernt, wie?«
    Lotte nickt zögernd. »Außerdem kannst du mir ja gleich
    schreiben, wenn etwas nicht klappt. Ich gehe jeden Tag aufs Postamt und frage, ob etwas angekommen ist!«
    »Ich auch«, meint Luise. »Schreib nur recht oft! Und iß tüchtig im ›Imperial‹! Vati freut sich immer so, wenn’s mir schmeckt!«
    »Zu dumm, daß ausgerechnet gefüllte Palatschinken dein
    Lieblingsgericht sind!« murrt Lottchen. »Na, da kann eben nichts helfen! Aber Kalbsschnitzel und Gulasch wären mir lieber!«
    »Wenn du gleich den ersten Tag drei Palatschinken ißt, oder vier oder fünf, kannst du hinterher sagen, du hast dich fürs ganze weitere Leben daran überfressen«, schlägt Luise vor.
    »Das geht!« antwortet die Schwester, obwohl sich ihr bereits bei dem bloßen Gedanken an fünf Palatschinken der Magen umdreht.
    Sie mag sie nun einmal nicht!
    Dann beugen sich beide wieder über ihre Heftchen und hören
    einander wechselseitig die Namen der Mitschülerinnen, die
    Sitzordnung in der Klasse, die Gewohnheiten der Lehrerin und den genauen Schulweg ab.
    »Mit dem Schulweg hast du’s leichter als ich«, meint Luise. »Du sagst Trude ganz einfach, sie soll dich am ersten Tag abholen! Das macht sie manchmal. Na, und da läufst du dann ganz gemütlich
    neben ihr her und merkst dir die Straßenecken und den
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