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Das Daemonenschiff

Das Daemonenschiff

Titel: Das Daemonenschiff
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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nach
Hause kommen. Ich fürchte, wir sind ein wenig …«, er tat so als
müsse er nach den richtigen Worten suchen, »… vom Weg abgekommen.«
»Und wie genau kommt ihr nun hierher?«, wollte der hochgewachsene Krieger wissen. »Diese Insel ist klein. Kaum jemand
kennt sie. Und noch weniger kommen ganz zufällig hier vorbei.«
Das war eine wichtige Information, fand Andrej. Sie waren also auf einer Insel. Endlich wieder auf einer verdammten, gottverfluchten Insel! Er unterdrückte nur mit Mühe ein Seufzen.
»Wir hatten ein Schiff. Der Sturm hat uns gestern Nacht an
Land geworfen. Nachdem er sich gelegt hatte, sind wir von Bord
gegangen, und dann haben wir das niedergebrannte Dorf gesehen. Was danach geschehen ist, weißt du.« Der Blonde blickte
fragend, und Andrej fügte mit einem angedeuteten Lächeln
hinzu: »Ihr habt uns beobachtet.«
Sein Gegenüber zog abschätzig die linke Augenbraue hoch –
so hoch, dass sie fast unter dem Ansatz seiner verfilzten blonden
Haare verschwand – enthielt sich aber einer Antwort. »Wo sind
die anderen?«, fragte er nur.
»Ich habe gesagt, es gibt keine anderen, und –«
»Der Rest der Mannschaft«, unterbrach ihn der Nordmann.
»Du hast gesagt, ihr wäret mit einem Schiff gekommen.«
»Es gibt keine Mannschaft«, knurrte Andrej. »Nur Abu Dun
und mich.«
»Dann muss es ein ziemlich kleines Schiff gewesen sein«,
erwiderte der Blonde in einem Ton, der Andrejs Worten jegliche
Glaubwürdigkeit absprach. »Wo ist es?«
Andrej sah nach oben und war im ersten Moment erstaunt, die
Sonne nicht dort vorzufinden, wo er sie erwartet hatte. Sie
schien sich in all der Zeit kaum von der Stelle bewegt zu haben.
Aber um sich zu orientieren, war er nicht nur auf seine Augen
angewiesen. Nach einem kurzen Moment deutete er in die Richtung, in der die Fenrir halb zerschmettert und mit gebrochenem
Mast auf dem Eisstrand lag.
»Dort, gleich hinter dem Bergrücken.«
Der Nordmann sah nachdenklich und zweifelnd in die angegebene Richtung, hob aber dann nur die Schultern und stand mit
einer geschmeidigen Bewegung auf. »Ich werde einen Mann
hinschicken, der nachsieht. Wenn es dort kein Schiff gibt, töten
wir euch.«
    »Du beharrst also darauf, dass es eine weise Idee war, uns
kampflos gefangen nehmen zu lassen«, sagte Abu Dun. Andrej
schätzte, dass es eine gute Stunde her war, seit man sie in das
winzige Zelt verfrachtet und den Eingang hinter ihnen geschlossen hatte. Dieser bestand nur aus einer Zeltplane und dünnen
Lederschnüren, aber der Stoff war dünn genug, dass sie die
Schatten der beiden breitschultrigen Krieger erkannten, die vor
dem Zelt standen. Es waren die ersten Worte, zu denen der
Nubier sich herabließ, seit man sie vom Feuer weggebracht hatte.
Den Rest der Zeit hatte er in beleidigtem Schweigen verbracht.
    »Nein«, antwortete Andrej. »Nicht weise. Nur klug.«
»Das ist ein Unterschied, nehme ich an«, sinnierte Abu Dun.
»Aber ich vergaß, ein dummer Mohr wie ich kann das ja nicht
verstehen.«
Andrej war nicht nach den Scherzen des Nubiers zumute.
»Was hättest du an meiner Stelle getan?«, fragte er scharf,
schärfer sogar, als er beabsichtigt hatte. »Sie getötet? Alle
fünf?«
»Jetzt«, erwiderte Abu Dun mit einer Kopfbewegung auf die
gedrungenen Schatten der beiden Krieger, »müssen wir vielleicht sehr viel mehr Männer töten.«
»Es wird nicht nötig sein«, antwortete Andrej, zwar überzeugt,
aber nur noch mühsam beherrscht. Dieses Land aus Wasser und
Eis bekam Abu Dun offenbar genauso wenig wie ihm. Sehr betont fügte er hinzu: »Sie werden uns nichts antun. Sie sind vernünftige Männer.«
Abu Dun machte ein abfälliges Geräusch. »Dein Wort in Gottes Ohr.«
»Gott?«, vergewisserte sich Andrej mit gespielter Überraschung. »Nicht Allah?«
»Allah«, antwortete Abu Dun nachdrücklich, »wird auf diesen
Unsinn ganz gewiss nicht hören.«
Andrej funkelte ihn an, doch bevor ihr Disput vollends entgleiten – und vollends absurd werden – konnte, näherten sich Schritte, und ein dritter Schemen erschien zwischen denen ihrer beiden Schattenwächter. Die ledernen Schnüre, die die geteilte
Zeltbahn zusammenhielten, wurden mit einer einzigen, gekonnten Bewegung gezogen, und ein vor Kälte gerötetes Gesicht
lugte zu ihnen herein.
»Kommt!«, sagte der blonde Krieger.
Andrej und Abu Dun tauschten einen gleichermaßen fragenden wie alarmierten Blick, erhoben sich aber gehorsam und traten wortlos aus dem winzigen Zelt heraus. Die
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