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Das Daemonenschiff

Das Daemonenschiff

Titel: Das Daemonenschiff
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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noch zwei- oder
dreihundert Jahre … oder vier. Man soll ja nicht gierig werden.«
    In diesen Worten verbarg sich eine Frage, die Andrej mit
einem unmerklichen Kopfschütteln beantwortete. »Das scheinen
mir vernünftige Menschen zu sein«, antwortete er. »Wäre es
anders, dann hätten sie uns sofort getötet. Lass uns noch eine
Weile abwarten. Wenn sie begreifen, dass wir nichts mit dem
Überfall zu tun haben, werden sie uns freilassen. Vielleicht
können sie uns helfen.«
    Abu Dun machte ein zweifelndes Gesicht, schwieg aber.
Verstohlen zerrte Andrej prüfend an seinen Fesseln. Das Leder
ächzte hörbar; eine Winzigkeit mehr, und es würde zerreißen.
Erschrocken stellte er seine Anstrengungen ein. Ein Vorteil, von
dem ihre Feinde wussten, war keiner mehr. Das spöttische Glitzern in Abu Duns Augen, mit dem dieser ihn bedachte, entging
ihm keineswegs.
    Der blonde Riese kam nach wenigen Augenblicken zurück.
Sein Gesicht war finster wie eh und je, aber trotzdem hatte sich
etwas in seinem Blick geändert. Andrej konnte den Unterschied
nicht wirklich in Worte fassen, hatte aber das sichere Gefühl,
dass er nicht ganz so unversöhnlich war, wie noch kurz zuvor.
Er blieb eine geraume Weile vor ihnen stehen und betrachtete
erst Abu Dun, dann Andrej, bevor er sie damit überraschte, sich
mit untergeschlagenen Beinen zu ihnen ans Feuer zu setzen. Er
legte einige trockene Zweige nach und hielt die Finger über die
Flammen. Trotz der frischen Nahrung schlugen sie kaum höher,
doch der bloße Anblick reichte aus, um Andrej zu wärmen.
Feuer gehörte zu den wenigen Dingen, die Abu Dun und ihm wirklich gefährlich werden konnten … aber vielleicht war Verbrennen nicht einmal der schlechteste Tod, den er sich wünschen konnte.
    Bei diesem Gedanken musste Andrej lächeln.
»Was ist so erheiternd, Andrej?«, fragte sein Gegenüber.
»Oh, nichts«, antwortete Andrej. »Ich habe mich nur gerade
    etwas gefragt.«
»Und was?«
»In meiner Heimat gibt es eine alte Sitte«, erwiderte Andrej,
»nach der man einem zum Tode Verurteilten einen letzten
Wunsch gewährt. Ist das bei euch auch so?«
    »Solange er nicht darin besteht, dass man ihm das Leben
schenkt oder ihn laufen lässt …«
»Solltet ihr beschließen, Abu Dun und mich zu töten«, sagte
Andrej lächelnd, »dann bitte ich darum, verbrannt zu werden.
Lebend.«
»So leicht werden wir es euch nicht machen«, erwiderte der
Blonde. »Vielleicht ganz am Ende, wenn ihr lange genug darum
gebettelt habt.«
Abu Dun hatte sich nicht gut genug in der Gewalt, um ein erschrockenes Zusammenfahren und einen eisigen Seitenblick in
Andrejs Richtung ganz unterdrücken zu können, aber sein Gegenüber blickte Andrej so aufmerksam an, dass er nichts davon
bemerkte.
»Ihr werdet uns nicht töten«, sagte Andrej ruhig.
»Jedenfalls nicht schnell«, fügte der Blonde hinzu.
»Aber du weißt, dass wir nichts mit dem Überfall auf dein
Dorf zu tun haben«, fuhr Andrej ungerührt fort.
»Und was macht dich da so sicher?«, wollte der Nordmann
wissen. Seine Augen wurden schmal.
»Der simple Umstand, dass wir noch am Leben sind«, antwortete Andrej. »Würdet ihr wirklich glauben, dass wir irgendetwas
damit zu tun haben, dann hättet ihr uns auf der Stelle getötet.« Oder es wenigstens versucht.
Der blonde Riese schwieg eine Weile. Sein Blick wurde noch
durchdringender, doch Andrej konnte ihm ansehen, dass es ihm
nicht gelang, in seinem Gesicht zu lesen. Er ließ Andrejs Behauptung unbeantwortet und fragte stattdessen: »Dein Freund
und du, woher kommt ihr? Aus Grünland?«
»Gegen dieses beschauliche Fleckchen Erde ist jedes andere
Land grün « , sagte Andrej belustigt. »Na ja … bis auf Abu Duns
Heimat, vielleicht. Ich stamme aus Siebenbürgen, und Abu Dun
kommt aus einem Land, das sich Nubien nennt. Ich nehme nicht
an, dass du von einem von beidem je gehört hast?«
Der verständnislose Blick seines Gegenübers war Antwort genug. »Und wie kommt ihr hierher?«, fragte er.
Andrej seufzte. »Das ist eine lange Geschichte.«
»Erzähle sie ruhig«, antwortete der Blonde. »Ich mag lange
Geschichten, und ich habe Zeit … wenigstens bis zum nächsten
Sonnenaufgang.« Er lachte leise, als verberge sich in diesen
Worten ein Scherz, den Andrej nicht begreifen konnte, doch der
Blick seiner wasserklaren Augen blieb durchdringend, forschend
und misstrauisch. Andrej begann sich darunter immer unwohler
zu fühlen. »Viel mehr interessiert uns die Frage, wie wir
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