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Das Daemonenschiff

Das Daemonenschiff

Titel: Das Daemonenschiff
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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sie umgab, und als Andrej endlich
seine Furcht überwand und in sie hineinlauschte, war auch dort
nichts; nur eine allumfassende, gewaltige Leere; eine Düsternis
und Kälte, die schnell und lautlos und unaufhaltsam auch in ihn
hineinkroch und alles Leben und jede Wärme zu verschlingen
begann.
Er war nicht einmal wirklich erschrocken.
Ein Teil von ihm hatte gewusst, dass es geschehen würde.
Vielleicht nicht so schnell. Vielleicht hatte sich ein winziger,
unvernünftiger Teil von ihm an die widersinnige Hoffnung
geklammert, das Schicksal könnte so etwas wie Gnade zeigen,
einen Hauch von Barmherzigkeit, indem es ihm eine kurze Zeit
mit ihr schenkte, und sei es nur eine winzige Atempause in
einem unendlichen Leben voller Schmerz und Flucht. Aber tief
in ihm, auf einer Ebene, die noch schwärzer und kälter war als
die, auf der das Ungeheuer lebte, hatte er stets gewusst, dass
Abu Dun recht gehabt hatte, als er vor langer Zeit einmal gesagt
hatte: Sie waren verflucht. Seine Liebe brachte den Tod. Die
Unsterblichkeit, die er ihr geschenkt hatte, hatte nicht einmal
zwei Tage gewährt.
Unendlich behutsam beugte sich Andrej vor, nahm Urds
Gesicht in beide Hände und küsste ein letztes Mal zärtlich ihre
kalten Lippen, und – verrückt oder nicht – für einen winzigen
Moment war er sicher, etwas zu spüren; vielleicht ein lautloses
Seufzen tief in seinen Gedanken, und etwas wie einen warmen
Hauch, der verging, bevor er ihn tatsächlich spüren konnte –
aber dann brachte er den Mut auf, sich einzugestehen, dass da
nichts war; nur etwas, das er so verzweifelt hatte spüren wollen, dass es für einen Moment beinahe wirklich gewesen war.
Aber da war nichts. Und es würde auch nie wieder etwas sein.
Andrej ließ ihr Gesicht los, schenkte ihr ein letztes, trauriges
Lächeln und strich ihr dieselbe widerspenstige Strähne aus der
Stirn, die ihr immer wieder ins Gesicht gefallen war. Dann stand
er auf, trat gebückt aus dem Zelt und richtete sich draußen auf.
So teilnahmslos, als beobachtete er einen Fremden, mit dem er
sich nur zufällig denselben Körper teilte, registrierte er, dass in
der Zwischenzeit sämtliche Männer vor dem kleinen Zelt
zusammengelaufen waren und ihn mit schreckensbleichen
Gesichtern anstarrten und tuschelten. Auch Abu Dun stand dort
und sagte irgendetwas, das er nicht verstand, weil es so bedeutungslos war wie alles andere. Wortlos dreht er sich herum,
bahnte sich einen Weg durch die Menge der Matrosen, die
erschrocken vor ihm zurückwichen, als sie die Leere in seinen
Augen gewahrten, und trat an die Schildreling, um auf das Meer
hinauszublicken. Auch dort sah er nichts als Leere, eine graue
Unendlichkeit, die die Welt verschlungen hatte, aber er spürte
wieder den eisigen Biss des Windes, so kalt, dass es wehtat, und
dieser Schmerz war gut.
»Es … es tut mir so unendlich leid, Andrej«, flüsterte Abu
Dun neben ihm.
Leid?
Andrej lauschte einen Moment lang in sich hinein, um den
Sinn seiner Worte zu begreifen, aber es gelang ihm nicht.
Vielleicht, weil nichts mehr einen Sinn hatte.
Seine Hand kroch unter den Mantel und schloss sich um den
Griff Gunjirs, und er spürte die Gier der Klinge, von der er erst
jetzt wirklich begriff, warum Odin sie ihm geschenkt hatte, und
ein dünnes, kaltes Lächeln erschien auf seinen Lippen.
»Andrej?«, fragte Abu Dun. Er klang alarmiert.
»Nichts«, antwortete Andrej. Etwas … geschah mit seiner
Stimme, und sein Lächeln wurde bitter, als er begriff, dass er
vielleicht nicht der Einzige war, dessen Geschenke den Tod
brachten. Odins Großzügigkeit war keine gewesen. Er hatte
gewusst, wozu er dieses Schwert brauchen würde. Kalt fragte er
sich, ob Odin gewusst hatte, wie bald. Er wusste es nicht, aber er
würde es herausfinden, und wenn die Antwort ja lautete, dann
würde er auch ihn töten.
Später.
Seine Hand schloss sich noch fester um den Schwertgriff, und
abermals spürte er die Wut und Gier der verzauberten Klinge,
die danach schrie, aus ihrem Gefängnis zu entkommen, eine
Wut, die verheerend und groß genug war, um die ganze Welt zu
verschlingen.
Und – wer weiß?, dachte er, vielleicht, irgendeines Tages …?
Lange, sehr lange Zeit verging, in der sie einfach schweigend
nebeneinanderstanden und auf das Wasser hinausblickten, und
schließlich fragte Abu Dun leise: »Und was … tun wir jetzt,
Andrej?«
Andrej löste die Hand von Gunjirs Griff. »Jetzt«, antwortete
Andrej, und in seiner Stimme war
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