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Das Daemonenschiff

Das Daemonenschiff

Titel: Das Daemonenschiff
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Felsen den Halt verlieren und gute
hundert Fuß in die Tiefe fallen. Nicht dass es ihn umgebracht
hätte, aber vielleicht wäre es ihm eine Lehre gewesen.
    Als er sich umständlich auf die Knie ließ, um dem Nubier zu
folgen, sah er, jetzt allerdings weniger schadenfroh, vor seinem
geistigen Auge, wie auch er in den Abgrund stürzte. Die Felswand fiel lotrecht in die Tiefe, und sie musste selbst ohne den
Panzer aus eisenhart gefrorenem und vom Wind glattpoliertem
Eis unbezwingbar sein. Andrej war alles andere als ein ungeschickter Kletterer, und noch während er nach unten gesehen
hatte, hatte er sich mit dem Gedanken zu trösten versucht, dass
sie schon schlimmere Wände erstiegen hatten … doch das
stimmte nicht. Andrej wusste hinterher nicht mehr zu sagen, wie
lange er gebraucht oder wie er es überhaupt geschafft hatte, nach
unten zu gelangen. Seine Finger und Zehen waren so kalt, dass
er keinen Schmerz mehr spürte, der gefrorene Stein hatte Kanten
so scharf wie Glas, und seine Hände hinterließen schmierige
rote Abdrücke. Jeder Muskel seines Körpers schmerzte, auch
wenn er sich nicht bewegte. Wahrscheinlich war er aus dem
einzigen Grund nicht abgestürzt, um Abu Dun nicht die Genugtuung zu bieten, ihn an sich vorbeifallen und unten auf dem Eis
zerschmettern zu sehen.
    Immerhin schien der Abstieg sogar an Abu Duns Kräften
gezehrt zu haben, denn als Andrej endlich neben ihm anlangte,
lehnte der Nubier erschöpft an der Wand und rang keuchend
nach Atem … was ihn selbstverständlich nicht davon abhielt,
Andrej mit einem breiten Grinsen und einem herablassenden
»Kommst du auch schon?« zu empfangen. Andrej zog es vor,
die Worte nicht zu hören.
    Stattdessen tat er es dem Nubier gleich, indem er sich für einen
langen Augenblick mit geschlossenen Augen gegen den vereisten Fels lehnte. Sein Herz pochte, als wolle es aus seiner Brust
springen. Er zitterte am ganzen Leib, und trotz der grausamen
Kälte war er unter seiner gefrorenen Kleidung schweißbedeckt.
In ein paar Augenblicken, dachte er missmutig, würde dieser
Schweiß gefrieren und ihn zusätzlich auskühlen.
    Er fuhr sich mit einer Hand wie mit einer eisbedeckten Kralle
durch das Gesicht, blinzelte einige Male und ließ den Blick
aufmerksam über die kleine Ansammlung verheerter Gebäude
streifen. Überrascht stellte er fest, dass aus der Nähe betrachtet
die Spuren gewaltsamer Zerstörung gar nicht mehr so dramatisch aussahen wie von oben. Das Dorf lag in Trümmern und
war verlassen, und das allgegenwärtige Eis, die Schneewehen
und das niemals endende Wehklagen des Windes, der sich an
Mauerresten und Felsen brach, ließen ihn fast glauben, dass es
hier niemals menschliches Leben gegeben hatte. Alles machte
plötzlich einen sonderbar friedlichen Eindruck, als hätten seine
Bewohner ihn nur aufgegeben und vor einem Jahrzehnt oder
auch einem Jahrhundert friedlich ihre Habseligkeiten gepackt.
    Vermutlich sind sie in ein wärmeres Land gezogen, fügte er in
Gedanken grimmig hinzu … was für nahezu jedes Land auf der
Welt galt.
    »Sehen wir dort drüben nach«, sagte Abu Dun mit einer übertriebenen Geste in Richtung eines der niedergebrannten
Gebäude. Andrej war sicher, dass er es ganz willkürlich ausgewählt hatte. Außerdem sprach er viel zu laut.
    Andrej warf ihm einen fragenden Blick zu, den der Nubier
einfach ignorierte. Er stieß sich kraftvoll von der Wand ab,
schlitterte mehr auf die Ruine zu als dass er ging. Andrej folgte ihm
mit einem Schulterzucken, so rasch er konnte und auf wenig
elegante Art. Abu Dun hatte ihm anscheinend irgendetwas sagen
wollen, aber er verstand nicht, was … und auf dem nächsten Stück
Weg hatte er auch Besseres zu tun, als darüber nachzudenken, denn
er musste sich konzentrieren, um sich auf den Beinen zu halten.
Das, was vielleicht einmal der Dorfplatz gewesen war, war jetzt so
spiegelglatt gefroren, dass Abu Dun und er sich mit albern aussehenden Bewegungen vorankämpften und Andrej auf dem letzten
Stück Weg mit den Armen rudern musste, um sein Gleichgewicht
zu halten. Auf dem allerletzten Stück verlor er dann doch noch den
Halt und wäre gestürzt, hätte Abu Dun nicht blitzschnell die Hand
ausgestreckt und ihn aufgefangen. Dabei wankte er nicht einmal,
obwohl auch er auf nichts anderem als blankem Eis stand – was
ihm einen eisigen Blick Andrejs eintrug. Als Abu Dun ihm auf die
Beine half, beugte er sich vor und raunte Andrej zu: »Wir sind
nicht mehr
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