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Das Dach kommt spaeter

Das Dach kommt spaeter

Titel: Das Dach kommt spaeter
Autoren: Murat Topal
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fünf Stunden Sich-im-Kreise-Drehens alles klar zu sein scheint, kommt irgendeine hochgradig nervöse Produktionsassistentin mit Klemmbrett hereingeschneit und fängt an, irre kichernd mit dir über Textkürzungen zu diskutieren, während jemand anderes dein Gesicht pudert und einfärbt, als solltest du der neue Julio Iglesias werden. Dabei hast du der Redaktion die Texte schon Wochen vorher schicken müssen, und alles war angeblich »voll in Ordnung so«. All der Aufwand für Auftritte, die am Ende vielleicht vier Minuten dauern.
    Kein Wunder, wenn die eifersüchtige Gattin den Verdacht hegt, dass ihr werter Gemahl sich seine Zeit auf der Frauenpirsch vertreibt. Kaum ist man wieder zu Hause, bekommtman prompt den Sohn in den Arm gedrückt, damit sie »auch mal was Schönes« erleben kann. Da stehst du dann und versuchst, den quengelnden Kleinen zu beruhigen, während dein Schreibtisch unter der kiloschweren Last nicht erledigter Rechnungen, unbeantworteter Post und bestenfalls halbfertiger Szenen für das neue Programm fast kollabiert. Apropos
das neue Programm
– das muss als das hinterhältigste Monster gelten, welches menschliche Phantasie je ersonnen hat. Gerade erst hast du es heldenhaft bezwungen, da löchern dich Management, Veranstalter, Medien und Fans schon wieder mit ihrer Lieblingsfrage: »Hast du was
Neues
in Arbeit?«
    Als ob es überhaupt etwas
Neues
unter der Sonne geben könnte! Am Ende deines 24/7-Sklaventages möchtest du nur noch bleischwer ins Bett sinken, doch da ist ja noch deine hinreißende Ehefrau, die – erquickt von ihrem freien Tag – deine ganze Aufmerksamkeit und Begeisterung fordert. Was für dich die Frage aufwirft: Dürfen Männer eigentlich auch mal Migräne haben?
    Wer hat da noch Kraft und Lust, regelmäßig Einnahme-Ausgabe-Tabellen vorzulegen und mit herablassenden Bankschnöseln die ewiggleichen Argumente auszutauschen. Nach einem dieser unbefriedigenden Termine machte ich einen Abstecher zu meinen Eltern, um bei einem Tee kurz den Akku aufzuladen. Entspannen war aber nicht im Sinne meines Babas, der sich mal wieder seine Gedanken gemacht hatte und ungefragt begann, mir abenteuerliche Vorschläge zu unterbreiten.
    »Murat, ich habe überlegt wegen Finanzierung. Ist ganz einfach das. Kennst du Gottschallik?«
    »Wen soll ich kennen?«, fragte ich.
    »Na, von
Wetten, dass!
Den Gottschallik.«
    »Ach so, na klar. Gottschalk. Der mit den Gummibärchen«,präzisierte ich, ohne die blasseste Ahnung, worauf er eigentlich hinauswollte.
    »Das ist springende Punkt, Murat, oğlum. Gummibären von Habori.«
    »
Haribo
, Baba. Aber was ist da der Punkt? Soll ich mir ein Haus bauen aus Gummibärchen?« Ich fand die Vorstellung witzig und musste lachen, was mein Vater auf den Tod nicht leiden konnte. Er dachte dann immer, man lache ihn aus.
    »Hör auf mit Lachen! Hast du keine Ahnung! Gottschallik hält kurz Bären in Kamera, quatscht bisken so, bisken so, kriegt viel Geld und kann bauen viele Häuser von das.«
    Jetzt fiel bei mir der Groschen. Mein treusorgender Vater wollte aus mir einen Werbeträger machen, eine Produktikone. Bedauernd erklärte ich ihm, dass ich im Gegensatz zu »Gottschallik« keine eigene TV-Show mit Millionen Zuschauern hatte und darum als Testimonial wohl eher uninteressant war. Doch Baba fegte meine kleinlichen Bedenken souverän beiseite.
    »Hörst du, Murat: Kennst du mein alte Freund Erkan, wohnt an Kottbusser Damm, und hat er, wie du weißt, fast zwanssik Süpermarket in Deutscheland.«
    »Langsam, Baba. Die gehören doch nicht ihm.«
    »Papplapapp. Gehören nicht ihm, aber Familie. Und jetzt kommt Idee: Du trägst
immer,
also Bühne, Fernsehen, Sseitung, immer T-Shirt von Erkans Süpermarket. Ist gut für alle: Erkan glücklich, Süpermarket erfolgreich, du reich und kannst bauen schöne Haus. Ist gute Idee oder nicht, Junge?«
    Am liebsten hätte ich Baba dafür geküsst, dass er sich so viele Gedanken um meine Probleme machte. Aber natürlich war die Idee komplett weltfremd. Um meinen Vater nicht erneut zu kränken, brachte ich ihm so schonend wie möglich bei, dass sein Vorschlag höchst kreativ, aber leider ohne Aussicht auf Erfolg war. Daraufhin zauberte er sofort zweiAlternativkonzepte aus dem Ärmel. Das eine war ernsthaft durchgeknallt: Ich sollte das Maskottchen seines Vereins werden – mein Vater lief trotz fortgeschrittenen Alters regelmäßig Marathon – und, als Merchandising-Figur vermarktet, eine Menge Kohle einfahren. Das andere dagegen
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