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Das Dach kommt spaeter

Das Dach kommt spaeter

Titel: Das Dach kommt spaeter
Autoren: Murat Topal
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eines bedeutete: endlosen Lärm. Also sortierten wir alle Objekte dieser Art sofort in die Rundablage.
    Trotz der anfänglichen Übersetzungsprobleme kristallisierten sich mit der Zeit erste Favoriten heraus. Mein Preis-Leistungs-Champion war eine zweigeschossige Doppelhaushälfte mit Flachdach. Gebaut in den Achtzigern, gelegen in Mariendorf, üppige hundertvierzig Quadratmeter groß und anscheinend in baulich gutem Zustand. Das hatte wenig mit Jugendstil zu tun, passte aber im Gegensatz zu vielen anderen Angeboten immerhin in unseren Finanzierungsrahmen. Denn der erste ernsthafte Marktcheck zeigte vor allem eines: dass unser Budget mit unseren Ansprüchen nicht Schritt halten konnte. Mit viel Fingerspitzengefühl und verkäuferischem Geschick versuchte ich, Ann-Marie die Eighties-Reliquie schmackhaft zu machen. Und erntete als Reaktion nur einen abschätzigen Blick von der Sorte:
Also, Junge, du hast ja nun wirklich gar keine Ahnung.
Dann sprach sie es auch noch aus: »Murat, Schatz, mal ehrlich: Der Kasten hat null Charme. Ich hatte eigentlich nicht vor, in eine Turnhalle zu ziehen.«
    Ich gab noch nicht auf. »Ich finde, wir sollten uns das Objekt auf jeden Fall mal ansehen. Vor Ort kommen einem die besten Ideen«, sagte ich, zugleich um Optimismus und Sachlichkeit bemüht. »Das Haus bietet Raum für kreative Ideen – und es hat einen großen Keller!«
    Das kam nicht gut an.
    »Großen Keller? Damit du deinen Fitness-Gerätepark installieren kannst? Na danke schön. Kannst du ausnahmsweise mal an etwas anderes als deine Hobbys denken? Und wolltest du nicht unbedingt einen See? In diesen Liliputanergarten passt noch nicht einmal eine Pfütze.«
    Ihr Gesichtsausdruck sagte mir, dass ich an dieser Stelle besser nicht insistierte. Im Gegenzug präsentierte sie mir ihre Lieblinge, die mich allesamt ins Schwitzen brachten: alleinstehende Hutzelhäuschen und/oder heruntergekommene Bauten von der vorletzten Jahrhundertwende, deren hervorstechendes Merkmal der »Sanierungsrückstand« war, bevorzugt in den abgelegensten Winkeln Brandenburgs gelegen. Gemeinsame Kennzeichen: weder Verkehrsanbindung noch Infrastruktur, dafür ein Riesengrundstück. Denn wie jedes Mädchen aus finanzstarker (westdeutscher) Familie war auch Ann-Marie als Kind geritten – und da wäre es doch schön, Platz für »ein, zwei Pferde« zu haben. Nur falls sie mit dem Reiten »mal wieder anfangen« wollte.
    »Pferde?« Ich schnappte nach Luft. »Äh ... Soviel ich weiß, haben wir keine Pferde.«
    Meinen kleinlichen Einwand erledigte sie mit einem Lächeln. »Murat, Schatz. Wo bleibt deine Phantasie? Wozu ziehen wir denn aufs Land? Um Raum für Ideen zu haben. Um unseren
Traum
zu leben.«
    Die Art, wie sie
Traum
sagte, machte mir Angst. Und dass wir aufs Land ziehen wollten, hörte ich zum ersten Mal.
    Während ich noch über eine markige Antwort nachdachte, hatte sie schon das Handy in der Hand und tippte die Nummer des Maklers ein. Keine Viertelstunde später saßen wir im Auto Richtung Brandenburg. Spätestens da wurde mir klar: Ich hatte ein Problem.

4. Kapitel

Raus aus der Stadt
     
     
    Genau betrachtet hatte ich gleich mehrere Probleme: eine emanzipierte Schwäbin als Ehefrau, die mich nicht als alleiniges Familienoberhaupt akzeptieren wollte, das ich natürlich naturgemäß bin. Die seltsame Idee meiner Frau, dass eine im Neuköllner Dschungel groß gewordene und fest verwurzelte deutsch-türkische Großstadtpflanze wie ich mir nichts, dir nichts aufs platte Land umgesiedelt werden könnte. Und nicht zuletzt die Tatsache, dass ich mit meiner vernünftigen Argumenten nicht zugänglichen Gattin in einen der entvölkertsten Landstriche unseres Heimatlandes unterwegs war. Irgendetwas stimmte hier nicht. Und wenn ich ein wenig nachdachte, würde ich sicher bald herausfinden, was es war.
    Bis dahin versuchte ich mich an die Beschreibung der Immobilie zu erinnern, der ich entgegenzuckelte. »Ländliches Idyll in Ortsrandlage, ideal für die junge individuelle Familie. Das Haus befindet sich in baulich gutem Zustand und ist teilsaniert.« Auch wenn ich das gegenüber Ann-Marie nicht einmal unter der Folter zugegeben hätte: Das Dreißiger-Jahre-Häuschen strahlte auf den Fotos einen gewissen Charme aus. Irgendwo im Nirgendwo, aber nahe am Ortsrand von irgendwas im Nirgendwas. Bunte Fensterläden, Obstbäumchen, das komplette Ann-Marie-Ausstattungs-Wunschprogramm.In Gedanken schlug ich auf den Hauspreis gleich noch die Anschaffungskosten eines
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