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Das Camp

Titel: Das Camp
Autoren: Harald Tondern
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euch da ja regelrecht ausgebeutet.«
    Auch über die Ereignisse der vergangenen Nacht wollte sie alles hören. Sie fragte Benni, was genau passiert war, wollte immer neue Einzelheiten wissen.
    Benjamins Antworten waren so kurz und abwesend, dass die Anwältin immer häufiger nachbohrte.
    »Aber du musst doch den Jungen erkannt haben, der dich in die Klärgrube gestoßen hat. Oder war es zu dunkel dazu?«
    »Ja«, sagte Benjamin. »Ziemlich dunkel.«
    »Du kannst also nicht wirklich sagen, wer es war?«
    Benni dachte nach. Eine ganze Weile tat er das. »Wer was war?«, fragte er dann.
    Die Anwältin seufzte demonstrativ. »Schon gut, Benni. Keine weiteren Fragen.«
    »Aber das ist doch wichtig!«, regte sich Judith auf. Sie saß vorn auf dem Beifahrersitz. »Sie können doch nicht hinnehmen, dass die so was mit Benni machen.«
    »Das tue ich doch auch gar nicht.«
    Judith wandte sich ihr zu. »Doch, das tun Sie!«, sagte sie heftig. »Das war ein Mordversuch. Benni wäre jetzt tot, wenn Luk nicht gewesen wäre.«
    Die Anwältin seufzte wieder. Sie versicherte, alles würde aufgeklärt werden. Aber alles zu seiner Zeit.
    »Und am Ende kommen diese Mörder wieder davon«, empörte sich Judith. »Weil keiner den Mund aufmacht und sie vor Gericht bringt.«
    »Judith«, sagte Frau Dr. Schrein sanft. »Ich verstehe ja,
dass du ungeduldig bist. Aber sieh dir Benni doch mal an. Er ist doch gar nicht richtig ansprechbar. Vielleicht hast du schon mal was von einem Trauma gehört?Wie beschreibe ich dir das denn jetzt? All diese Erlebnisse haben seine Seele so verletzt, dass er sich in eine eigene Welt geflüchtet hat. Er redet mit uns, aber in Wirklichkeit ist er ganz weit weg. Ist ja auch kein Wunder nach diesem Anschlag. Du hast ja recht, wenn du von einem Mordversuch sprichst. Aber überleg mal, was das für ihn bedeutet. Ich fürchte, er braucht professionelle Hilfe. Aber keine Sorge, die organisiere ich für ihn.«
    Judith hörte schon längst nicht mehr zu. Sie hatte frustriert ihre Ohrenstöpsel reingeschoben und wippte im Takt der Musik, die sie sich reinzog.
    Frau Dr. Schrein sah einen Moment irritiert aus. Dann zuckte sie die Achseln und wandte sich ihrem Mobiltelefon zu. Sie hatte eine Freisprechanlage im Wagen, die so gut eingestellt war, dass sie nicht übermäßig laut sprechen musste bei ihren Telefonaten.
    »Ja«, hörte Luk sie einmal sagen. »Das ist Ihre Entscheidung. Ich wollte Sie nur informieren.«
    Luk spitzte natürlich die Ohren. Das jedenfalls hatte er im Camp gelernt. Saug alles auf, was du kriegen kannst. Gespräche, Gerüchte, alles. Wissen ist Macht. Bewahrt dich vor unerfreulichen Überraschungen.
    Aber es kam nicht nur darauf an, was gesagt wurde. Viel wichtiger waren manchmal die Schlussfolgerungen, die man daraus ableiten konnte.
    Die Anwältin zum Beispiel, sie schien prächtig im Geschäft zu sein. Sie telefonierte mit mindestens einem Dutzend Mandanten. Sie hatte eine freundliche, zugewandte Art und vermittelte ihrem jeweiligen Gesprächspartner, dass sie
Zeit für ihn hatte. Aber ihre Entscheidungen kamen schnell und direkt.
    Nur einmal dauerte ein Gespräch länger. »Ja, Schatz«, hörte Luk sie sagen. »Das schaffst du. Überhaupt kein Problem. Komm, ich helf dir dabei.«
    Manchmal kicherte sie, während sie zuhörte. »Ja, ja, genau richtig. Und jetzt die Milch. Für jedes Ei zwei Esslöffel voll …«
    Erst da kapierte Luk. Sie erklärte einem Kind, wie man Rührei zubereitet. Wahrscheinlich ihrem eigenen Kind. Schritt für Schritt machte sie das und hatte plötzlich alle Zeit der Welt. Auch ihr Ton hatte sich verändert. Er war wärmer geworden und liebevoll.
    Luk ertappte sich bei dem Gedanken, dass er dieses Kind beneidete. So eine Mutter würde er auch gern haben.
    Aber halt, das war unfair. Seine eigene Mutter war doch auch ganz okay. Allerdings war er immer noch sauer auf sie. Sie tat immer so, als habe sie in der Familie überhaupt nichts zu sagen, jedenfalls nicht in den wirklich wichtigen Dingen. Aber Luk hatte schon früh gemerkt, dass das nur Show war. In Wirklichkeit hatte seine Mutter meist das letzte Wort, wenn es darauf ankam. Sie stellte es nur immer so dar, als hätte sie wieder mal nachgegeben.
    Warum sie wohl zugelassen hatte, dass sein Vater ihn in dieses schreckliche Camp geschickt hatte? Denn genau das hatte er getan, als er Dr. Enno Schwarz gefeuert hatte.
    Warum, verdammt?
    Hoffentlich versuchten sie nicht, sich damit herauszureden, dass sie halt nicht gewusst
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