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Das Camp

Titel: Das Camp
Autoren: Harald Tondern
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woher. Dazu war das alles viel zu weit weg für ihn. Wie aus einem ganz anderen Leben.
    Aber diese Stimme, die hatte er irgendwo schon gehört. Und diese Hartnäckigkeit, die ihm damals gewaltig auf die Nerven gegangen war.
    Nur dass sie diesmal etwas ganz anderes bei ihm auslöste. Um ein Haar wäre er losgerannt und hätte das Mädchen in die Arme genommen.
    Verrückt! Was war nur passiert mit ihm?
    Da stand Judith.
    Das Mädchen, das er damals so rüde abgewimmelt hatte nach dem Flug über das Wattenmeer.

38
    Luk kauerte in der Deckung eines Baumes und sah zur Straße hinüber, wo der silberne Volvo stand. Er wusste nicht, was er jetzt tun sollte. Er hatte keinen Plan B im Kopf. Aus dem schlichten Grunde, weil es Plan A nicht gab. Er war einfach nur losgerannt mit Benni. Aber langsam dämmerte ihm, dass es nicht reichte, einfach nur abzuhauen. Man braucht auch ein Wohin, ein Ziel, an dem man ankommen kann.
    Aber es gab kein Ziel. Wo sollte er hin? Nach Hause? Seit Monaten hatte er nichts von seinen Eltern gehört. Sein Anwalt hatte seinen Brief zurückgehen lassen. Annahme verweigert.
    Er konnte nicht mal die nächste Polizeiwache ansteuern. Die Polizisten hätten Benni und ihn wahrscheinlich schnurstracks wieder zurück ins Camp befördert. Genau deshalb brauchte das Bootcamp ja keine Zäune.
    Luk wusste buchstäblich nicht, wohin. Und er begann sich zu fragen, ob er Benni wirklich einen Gefallen tat, wenn er ihn hier auf der Schubkarre durch die Gegend fuhr. Aber wenn er Benjamin nicht aus der Klärgrube herausgeholt hätte, wäre Benni jetzt tot. Ertrunken. Es hatte wirklich nicht mehr viel gefehlt.
    Und trotzdem wusste Luk nicht, was er jetzt machen sollte. Sein erster Impuls war, einfach auf die Straße zu treten und um Hilfe zu bitten. Aber wenn die Frau im weißen Hosenanzug dann ihr Handy zückte und die Polizei rief?
    Judith rettete ihn aus seinem Dilemma. Oder besser ihre gute Nase. Plötzlich hielt sie inne und schnüffelte unwillig. »Was riecht hier eigentlich so komisch?«

    »Was denn?« Die Frau, die den Volvo gefahren hatte, schien immer noch mit ihrem Navi beschäftigt zu sein. »Ich riech nichts.«
    »Aber das stinkt doch bestialisch.«
    Die Frau wollte immer noch nicht darauf eingehen. Sie sah nicht gerade so aus, als legte sie Wert darauf, sich die Hände schmutzig zu machen. In ihrem weißen Hosenanzug wirkte sie sehr groß und schlank. Das Rot ihrer Schuhe und ihrer Umhängetasche war genau auf die Farbe ihrer kurzen Haare abgestimmt.
    »Vielleicht ein verendetes Reh oder so was.«
    Judith hatte den Kopf leicht vorgereckt und ging dem Geruch nach auf den Waldrand zu.
    »Da liegt jemand!« Sie wich erschrocken zurück.
    »Ein Mensch?« Mit energischen Schritten ging die Frau an Judith vorbei und beugte sich über den Busch, hinter dem Benjamin lag. Sofort zückte sie ihr Handy. »Schätze, so wie der riecht, kann ich mir direkt die Mordkommission geben lassen.«
    Luk sah, wie die Frau zu wählen begann. Ohne groß zu überlegen, sprang er auf die Straße.
    »Bitte! Warten Sie!«
    Die Frau ließ ihr Handy sinken. Kühl musterte sie Luk.
    »Und wer sind Sie jetzt, bitte?« Sie blieb ganz gelassen, zeigte keinerlei Anzeichen von Beunruhigung. »Der Mörder?«
    »Das ist Luk«, sagte Judith. »Der Junge, der mir geschrieben hat.«
    »Aha! Du warst das. Und was machst du hier draußen? Außerhalb des Erziehungslagers? Abgehauen?«
    Luk nickte.
    »Und der da drüben ist Benjamin?«
    Frau Dr. Alice Schrein stellte sich vor als die Rechtsanwältin,
die Judith von einem Vortrag bei Amnesty kannte. Die Anwältin hatte es über ihr Juristen-Netzwerk tatsächlich geschafft, an Benjamins Akte heranzukommen.
    »Absolut indiskutabel«, sagte sie jetzt. »Benjamin hatte ein Alibi. Er hätte nie und nimmer hier landen dürfen. Tut mir leid, dass es so lange gedauert hat. Der Richter hat die Entlassungsverfügung erst gestern Abend erlassen, und auch das nur, weil ich ihn vom Studium her kenne und ihm privat auf die Bude gerückt bin. Aber das bleibt unter uns, ja?«
    »Wir sind gleich heute Morgen losgefahren«, warf Judith ein. »Alice hat mich gestern Abend um elf noch angerufen.«
    Sie war wieder zu Benni hinübergegangen und beugte sich über ihn. »Er schläft immer noch. Und schnorchelt wie ein Baby. Soll ich ihn aufwecken?«
    »Besser nicht«, entschied die Anwältin. »So lass ich euch sowieso nicht in den Wagen. Der ist geleast. Wenn ihr euch da reinsetzt, riecht er in drei Jahren noch so, dass ihn
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