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Das Buch der verlorenen Dinge

Das Buch der verlorenen Dinge

Titel: Das Buch der verlorenen Dinge
Autoren: John Connolly
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»Ich bin Dr. Moberley. Und du bist sicher David.«
    David nickte. Dr. Moberley bat David, sich zu setzen, dann blätterte er in einem Notizbuch, das vor ihm auf dem Tisch lag, und zupfte an seinem Bart, während er darin las. Als er fertig war, blickte er auf und fragte David, wie es ihm ginge. David sagte, es gehe ihm gut. Dr. Moberley fragte ihn, ob er sicher sei. David sagte, er sei ziemlich sicher. Dr. Moberley sagte, Davids Vater mache sich Sorgen um ihn. Er fragte David, ob er seine Mutter vermisse. David antwortete nicht. Dr. Moberley sagte, er mache sich Sorgen wegen Davids Anfällen, und gemeinsam würden sie versuchen herauszufinden, was dahintersteckte.
    Dr. Moberley gab David einen Kasten mit Stiften und bat ihn, ein Haus zu malen. David nahm einen Bleistift und zeichnete sorgfältig die Mauern und den Schornstein, dann fügte er ein paar Fenster und eine Tür ein, und dann machte er sich daran, das Dach mit kleinen, gewellten Ziegeln zu versehen. Er war ganz in seine Ziegelmalerei versunken, als Dr. Moberley meinte, das sei jetzt genug. Dr. Moberley sah erst das Bild an und dann David. Er fragte David, ob er nicht auf den Gedanken gekommen sei, die Buntstifte zu benutzen. David erklärte ihm, das Bild sei noch nicht fertig, und sobald er genügend Ziegel auf das Dach gemalt habe, werde er sie rot anmalen. Dr. Moberley fragte David auf dieselbe g-a-n-z 1-a-n-g-s-a-m-e Art, in der seine Bücher sich unterhielten, warum die Dachziegel so wichtig seien.
    David fragte sich, ob Dr. Moberley ein richtiger Arzt war. Ärzte waren für gewöhnlich sehr klug. Doch Dr. Moberley schien nicht sehr klug zu sein. G-a-n-z 1-a-n-g-s-a-m erklärte David ihm, ohne die Ziegel auf dem Dach würde es hineinregnen. Auf ihre Weise waren sie genauso wichtig wie die Mauern. Dr. Moberley fragte David, ob er Angst davor habe, dass es hineinregnete. David erklärte ihm, er würde nicht gerne nass. Draußen sei es nicht so schlimm, vor allem, wenn man entsprechend angezogen war, aber die meisten Leute trügen im Haus keine Regenmäntel.
    Dr. Moberley sah ein wenig verwirrt aus.
    Als Nächstes bat er David, einen Baum zu malen. Wieder nahm David den Bleistift, zeichnete mit großer Sorgfalt die Zweige und fügte dann nach und nach kleine Blätter an. Er war gerade erst beim dritten Zweig, als Dr. Moberley ihm erneut sagte, es sei genug. Diesmal lag auf Dr. Moberleys Gesicht der gleiche Ausdruck, den Davids Vater manchmal hatte, wenn es ihm gelungen war, das Kreuzworträtsel in der Sonntagszeitung zu lösen. Er sprang zwar nicht auf und rief mit ausgestrecktem Zeigefinger »Aha!«, wie es die verrückten Wissenschaftler in den Comics taten, aber er wirkte ausgesprochen zufrieden mit sich.
    Dann stellte Dr. Moberley David eine Menge Fragen über sein Zuhause, seine Mama und seinen Papa. Er fragte auch nach den Ohnmachtsanfällen, und ob David sich an irgendetwas erinnern könne. Wie hatte er sich gefühlt, bevor es passierte? Hatte er etwas Seltsames gerochen, bevor er das Bewusstsein verlor? Hatte er hinterher Kopfweh gehabt? Oder vorher? Hatte er jetzt Kopfweh?
    Doch die Frage, die nach Davids Ansicht am wichtigsten war, stellte er nicht, denn Dr. Moberley ging offenbar davon aus, dass David während der Anfälle vollständig das Bewusstsein verlor und sich an nichts erinnerte, wenn er wieder zu sich kam. Das stimmte nicht. David überlegte, ob er Dr. Moberley von den seltsamen Landschaften erzählen sollte, die er während der Anfälle sah, aber Dr. Moberley fragte ihn schon wieder nach seiner Mutter, und David wollte nicht mehr über seine Mutter sprechen, erst recht nicht mit einem Fremden. Dr. Moberley fragte auch nach Rose und wie David zu ihr stand. David wusste nicht, was er antworten sollte. Er mochte Rose nicht, und er mochte es nicht, wenn sein Vater sich mit ihr traf, aber das wollte er Dr. Moberley nicht erzählen, weil der es dann womöglich Davids Vater weitersagen würde.
    Am Ende der Sitzung weinte David, obwohl er nicht einmal wusste warum. Er weinte so sehr, dass seine Nase anfing zu bluten, und beim Anblick des Blutes bekam er Angst. Er fing an zu schreien und zu brüllen. Er fiel zu Boden, ein weißer Blitz durchzuckte seinen Kopf, und er begann zu zittern. Er schlug mit den Fäusten auf den Teppich und hörte, wie die Bücher missbilligend tuschelten, während Dr. Moberley um Hilfe rief und sein Vater hereingestürzt kam, und dann wurde plötzlich alles dunkel. Ihm kam es vor wie ein paar Sekunden, doch in
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