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Das Buch aus Blut und Schatten

Das Buch aus Blut und Schatten

Titel: Das Buch aus Blut und Schatten
Autoren: Robin Wasserman
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durchaus bewusst war. Ihr Körper schaltete einfach auf Autopilot, und wenn ihr Mund auf Automatik war, beschwerte er sich über meine Essgewohnheiten oder mein nicht gerade aufregendes Sozialleben.
    Adriane ließ sich in dem großen blauen Sitzsack nieder, der in einer Ecke ihres Zimmers stand, und verknotete die Beine unter sich. Auf dem Flokati zu ihren Füßen stapelten sich aufgeschlagene Bücher. Meine Freundin – von Natur aus Schnellleserin und mit einem ekelhaft guten Gedächtnis gesegnet – war so eine Art literarische Elster. In der einen Woche nahm sie sich die Russen vor, in der nächsten die Postmodernen, um sich dann zwischendurch der Lektüre technischer Fachzeitschriften und des neuesten Romans von Nora Roberts zu widmen. Geschichte und Politik verschmähte sie – »Du weißt ja, was man sagt, mach Liebe, keine Verträge« –, doch alles andere war willkommen. Ihrer ausgesprochen langen Aufmerksamkeitsspanne kam es dabei entgegen, dass ihre Kreditkarte ein praktisch unbegrenztes Limit hatte, das durch Adrianes wöchentliche Einkaufsexzesse bei Amazon nicht einmal annähernd ausgereizt wurde; ihrem sorgfältig gepflegten sozialen Status kam es entgegen, dass sie bei allem, was mit der Schule zu tun hatte, sehr überzeugend das oberflächliche Faultier spielte. Die Pokale, die sie bei den Wissenschaftswettbewerben ihrer Schule gewonnen hatte, wurden – sowohl im übertragenen als auch im wörtlichen Sinn – hinter Schloss und Riegel gehalten.
    Heimliche Intelligenzbestie par excellence. Es war das Auffallendste, was sie und Chris gemein hatten.
    Â»Dann können wir ja ganz offiziell mit dem Countdown beginnen«, sagte sie. Wie immer begann sie in medias res.
    Â»Für…?«
    Â»Europa. Meine Mom hat mit Cammis Mom geredet und die ist mit irgend so einem Typ aus dem Planungskomitee zusammen im Förderverein und der hat gesagt, es wird definitiv Paris werden. Ist das nicht super?«
    Â»Keine Ahnung.«
    Â»Weil du noch nie dort gewesen bist.« Ihre Stimme senkte sich zu einem ehrfürchtigen Flüstern, als rede sie von einer Pilgerfahrt ins Heilige Land. »Die Champs-Elysées, das Bon Marché, die Galeries Lafayette…«
    Â»Das ist ein Kaufhaus, stimmt’s?«
    Â»Versuch’s mal mit ›Modetempel‹. Nicht zu vergessen das Essen: Pain au chocolat, Crêpes au Nutella…«
    Â»Du hast seit diesem Ausrutscher mit dem Schokoriegel in der zehnten Klasse keine Schokolade mehr gegessen«, erinnerte ich sie.
    Â»Was hast du eigentlich für ein Problem?«
    Adriane freute sich schon gefühlt ihr ganzes Leben lang auf die Auslandsreise der Abschlussklasse im Frühjahr. Ich zog es vor, der Illusion anzuhängen, dass dieser Tag nie kommen würde, vor allem, weil mein Stipendium nicht für Klassenfahrten nach Europa aufkam und ein Frühstück im Au Bon Pain im Einkaufszentrum so ziemlich das Französischste war, was meine Eltern finanzieren konnten.
    Â»Ich versuche nur zu verstehen, warum das so eine große Sache sein soll«, erklärte ich. Adriane und Chris wussten, dass ich mit einem Stipendium an der Prep war, und sie wussten auch, dass ich im Gegensatz zu ihnen kein eigenes Auto, keine eigene Kreditkarte und keinen eigenen Trust hatte. Trotzdem kapierten sie es irgendwie nicht, was es bedeutete, nie genug Geld zu haben, und mir war es lieber, die beiden im Ungewissen zu lassen, weil ich keine Lust auf ihr Bedauern inklusive Mitleid hatte. »Ich habe nicht die letzten drei Weihnachtsferien damit verbracht, am Ufer der Seine Chocolat chaud zu schlürfen«, sagte ich möglichst lässig. »Wenn Paris tatsächlich so toll war, warum hast du mir dann jeden zweiten Tag eine SMS geschickt und gejammert, es sei alles so schnarchlangweilig?«
    Â»Es waren nur zwei Weihnachtsferien. Und wenn man seine Eltern am Hals hat, ist alles lahm. Dieses Mal fahren wir zusammen hin. Habe ich schon erwähnt, dass es in Europa kein Mindestalter für Alkohol gibt?«
    Â»Nur etwa einhundertsechs Mal.«
    Â»Warum musst du die ganze Zeit so pessimistisch sein?«
    Â»Ich bin nicht pessimistisch«, erwiderte ich reflexartig. »Ich bin nur realistisch. Und genau deshalb hast du mich ja so gern.«
    Â»Zu viel des Guten kann auch schädlich sein.« Dann hellte sich ihre Miene auf. »Also schön. Dann versuch mal, realistisch zu sein und das
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